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Am 20. März 2003 begann der Krieg der "Koalition der Willigen" gegen die Diktatur von Saddam Hussein im Irak. Mittlerweile gilt die Behauptung, das Regime habe an Massenvernichtungswaffen gearbeitet, offiziell als widerlegt.

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Colin Powell, damals US-Außenminister, rechtfertigt die Kriegsvorbereitungen seines Landes mit Hinweisen auf Biowaffen - spätestens seit dem Guardian-Interview mit "Curveball" ebenfalls widerlegt.

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Rafid Ahmed Alwan al-Janabi beim Interview.

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Der Mercedes ist weg, das Haus, das Handy. Und Arbeit hat er auch keine mehr. Eine kleine Mietwohnung am Rande der süddeutschen Stadt Karlsruhe ist alles, was Rafid Ahmed Alwan al-Janabi von seinem Verrat geblieben ist. Außer einem Manuskript, in dem der Mann mit dem Decknamen "Curveball" die vergangenen zehn Jahre Revue passieren lässt - und von der Lüge seines Lebens berichtet. Eine Lüge, die aus dem irakischen Chemieingenieur, der Ende 1999 nach Deutschland kam und sechs Monate später Asyl erhielt, den wichtigsten Zeugen für den Angriff auf den Irak machte.

Keine Reue

Acht Jahre sind seit dem Beginn der US-geführten Militärintervention, dem Sturz des Bagdader Diktators und zumindest 100.000 getöteten Zivilisten vergangen. Der Irak ist bis heute alles andere als ein demokratischer Leuchtturm im Nahen Osten, täglich sterben Menschen durch Anschläge sektiererischer Terroristen. Janabi bereut trotzdem nichts. Im Gegenteil: "Vielleicht hatte ich Recht, vielleicht nicht", sagte er am Dienstag der britischen Zeitung "The Guardian". "Ich hatte die Chance, etwas zu fabrizieren, um das Regime zu stürzen." Zum Beispiel, dass das Regime von einer Vogelfutterfabrik im Süden der irakischen Haupstadt aus sein Biowaffenprogramm vorantreibe. Purer Unsinn, wie "Curveball" heute zugibt.

USA fragten nicht nach

Aber glaubwürdig genug, um von den Regierungen der USA und Großbritanniens als entscheidender Impuls für den bisher größten Waffengang des 21. Jahrhunderts vorgeschoben zu werden. Er habe ungläubig vor dem Fernsehapparat gesessen, schildert Janabi, als der damalige US-Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat von Augenzeugen sprach, die die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen belegten. Und sich dabei direkt auf die teils haarsträubenden Räuberpistolen bezieht, die er dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) seit dem Jahr 2000 erzählt hat. Die US-Behörden, so "Curveball", hätten ihn in all den Jahren kein einziges Mal dazu befragt. Janabi habe den Agenten gesagt, was sie hören wollten, sagen Kritiker. So habe der Iraker seinen Asylstatus rechtfertigen wollen. Die Deutschen hätten ihm gedroht, er werde seine Frau und seine Kinder, damals noch in Spanien, nicht wiedersehen, wenn er nicht kooperiere, sagt Janabi. Und nein, seine Informationen hätten nichts mit seinem Asylantrag zu tun gehabt, beteuert "Curveball" heute.

Viel Druck war offenbar auch gar nicht nötig. Der BND - und damit auch die USA - habe seinen Ausführungen sogar dann noch geglaubt, als sein ehemaliger Chef im Jahr 2000 bei einem Gespräch mit deutschen Geheimdienstlern in Dubai seine Angaben dementierte. Fast wirkt es so, als hätten die Geheimdienste in Deutschland und den USA geahnt, dass sich hinter dem vorgeblichen irakischen Insider ein Scharlatan verbirgt. Doch die Gelegenheit kam allen Beteiligten dieser Posse zupass. Der Westen hatte den Beweis für ein irakischen Biowaffenprogramm, auf das er so lange warten musste. Und Janabi alias "Curveball"? "Ich musste etwas für mein Land tun", sagt er heute: "Also habe ich das gemacht und ich bin zufrieden, denn jetzt gibt es im keinen Diktator mehr".

Verleger gesucht

Rafid Ahmed Alwan al-Janabi fühlt sich heute von den Geheimdiensten im Stich gelassen. Fünf Jahre lang wurde seine Identität geheim gehalten, der BND quartierte ihn hunderte Kilometer von seiner fränkischen Wahlheimat Erlangen entfernt in Baden-Württemberg ein. Man stellte ihm einen Luxuswagen deutscher Fabrikation zur Verfügung. Janabis Frau und seine zwei Kinder sind so wie er selbst mittlerweile deutsche Staatsbürger. "Curveball" bezieht aber seit 2008 keinen Unterhalt mehr vom BND, der seine Informantentätigkeit bis dahin mit 3.000 Euro pro Monat üppig bezahlte.

Zwei Mal war er seit dem Sturz des Saddam-Regimes wieder im Irak. Einmal gründete er sogar eine Partei. 1.700 Menschen gaben ihm bei der Parlamentswahl im März 2010 ihre Stimme. Jetzt sucht der Mann, den sie "Curveball" nannten, einen Verleger für seine Lebensgeschichte. (flon/derStandard.at, 16.2.2011)