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"Die WM ist nicht lebenswichtig für mich, sondern es überwiegt der Spaß und die große Freude in das nordische Mekka zu kommen und da die WM zu erleben."

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"Nachdem im Skisprungsport so gut wie alles reglementiert ist, finde ich es fast eine Frechheit, dass dieser wichtige Bereich (Anm: Bindungsbereich) nicht genügend geregelt ist."

Foto: REUTERS/Alex Domanski

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"Skispringen ist kein Wunschkonzert."

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Auch ÖSV-Überflieger Gregor Schlierenzauer bekommt "ein Kribbeln im Bauch", wenn eine neue Herausforderung auf ihn zukommt. Die Grenzen der erreichbaren Flugweiten sind seiner Meinung nach noch lange nicht erreicht. Der Tiroler hebt trotz seiner imposanten Erfolgsliste nicht ab und ist überzeugt, dass "es auch ein Leben neben dem Sport gibt." Im Interview mit Thomas Hirner spricht er unter anderem über die Skifliegerei, gefährliches Bindungs-Tuning, das "nicht ganz faire" neue Bewertungssystem, den Rummel um seine Person, Fotografieren, Onkel Prock und die nahende WM im nordischen Mekka Oslo.

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derStandard.at: Sie haben den österreichischen Rekord beim Fliegen in Vikersund auf unglaubliche 243,5 Meter hochgeschraubt. Wie fühlt sich das an?
Gregor Schlierenzauer: Das ist auf jeden Fall etwas ganz Einzigartiges, was noch nicht viele Menschen auf der Welt so empfunden haben. Es ist eine geile Sache, die Königsklasse in unserem Sport. Und wenn alles zusammenpasst, dann wirken Kräfte auf den Körper, die man eigentlich nur sehr schwer beschreiben kann. Es fühlt sich in etwa so an, als würde man einen Düsenantrieb haben und damit abheben, also wie bei einem Flugzeugstart.

derStandard.at: Stößt man bei solchen extremen Weiten langsam an die physischen Grenzen?
Schlierenzauer: Ich glaube, dass es auf jeden Fall möglich ist, weiter zu fliegen, wenn die Schanzen noch größer werden. Die Grenzen sind meiner Meinung nach noch nicht ausgeschöpft, weder vom körperlichen noch vom Material her. Aber das ist eine Frage der Zukunft und ob ich das noch erleben werde, ist fraglich.
Dass Menschen 240 Meter und weiter springen war jetzt einmal ein Meilenstein. Es ist für mich als Athlet immer wieder eine große Herausforderung, wenn man auf einer neuen Schanze springt, gerade wenn es die größte Schanze der Welt ist. Man hat eine gewisse Nervosität, ein Kribbeln im Bauch und es ist auch ein gewisser Faktor Ungewissheit dabei, aber man findet dann relativ schnell wieder in den Rhythmus, in das normale Ritual rein.

derStandard.at: Wie weit kann es noch gehen? Wann ist Schluss?
Schlierenzauer: Alles in allem ist das natürlich von der Schanzengröße abhängig. Es muss gewährleistet sein wie in Vikersund, dass es nicht über das Limit geht. Man kann auf einer 240-Meter-Schanze nicht einfach 260 Meter springen. Dann würden sich alle die Füße brechen. Man müsste also wieder was Neues bauen, damit es noch weiter geht. Dann sind bestimmt an die 300 Meter möglich beziehungsweise auszuhalten.

derStandard.at: Wieviel größer ist die Belastung wenn man statt 200 plötzlich 240 Meter weit fliegt?
Schlierenzauer: Das kommt auf die Anlage an. Wenn man Planica hernimmt, dann ist dort die Flugkurve eine ganz andere als in Vikersund, wo die Schanze für Weltrekorde geradezu prädestiniert ist. In Vikersund hat man keinen hohen Luftstand, da kann nicht viel schief gehen und wenn was schief geht, dann landet man gleich. Auf anderen Schanzen ist man bei einem Fehler über dem Vorbau gleich einmal acht Meter in der Luft.

derStandard.at: Wie konnten Sie es nach Ihrer Verletzung (Innenbandeinriss im rechten Knie bei einem Trainingssprung) binnen weniger Wochen zurück an die absolute Weltspitze schaffen? Gibt es Wunderheiler im ÖSV-Springerteam?
Schlierenzauer: (lacht) Wunderheiler gibt es natürlich keinen, aber ich bin ärztlich sehr gut versorgt worden, was zunächst das wichtigste war. Ich hab mir eine gewisse Zeit genommen, daran zu arbeiten um wieder zurückzukommen. Die Trainer arbeiten sehr gewissenhaft. Speziell mit Stützpunkt-Trainer Markus Maurberger habe ich sehr intensiv zusammengearbeitet. Das hat gut funktioniert und hat nun auch wieder Früchte getragen.

derStandard.at: Sie haben in der ewigen Bestenliste Jens Weißflog (33) überholt und liegen als Vierter mit 34 Weltcupsiegen nur noch hinter Matti Nykänen (46), Adam Malysz (39) und Janne Ahonen (36).
Bekannte Namen wie Martin Schmitt (28), Andreas Felder (25), Andreas Goldberger (20), Simon Ammann (19), Andreas Widhölzl (AUT) oder Sven Hannawald (je 18) wurden somit weit überflügelt. Wie schafft man es bei all den Erfolgen nicht abzuheben und auf dem Boden zu bleiben?
Schlierenzauer: Die heurige Saison war diesbezüglich ein Lernjahr für mich, weil zu Beginn gewisse Faktoren nicht aufgegangen sind bzw. nicht ineinandergegriffen haben. Wenn man bisschen hinterherspringt oder hinter seinen Erwartungen bleibt, dann sind das tolle Lernerfahrungen, die man als Spitzenathlet wahrnehmen kann. Durch Verletzungen, Misserfolg oder kleine Durststrecken lernt man auch, was wichtig ist im Leben. Sport ist wichtig, aber sicher nicht das wichtigste, es gibt auch ein Leben neben dem Sport.

derStandard.at: Sie verraten auf Ihrer Homepage, dass Sie fotografieren, damit die Fans einen besseren Einblick in Ihr tägliches Leben haben. Kommt man sich als Spitzensportler im Rampenlicht nicht ohnehin so vor, als würde man permanent in der Auslage stehen?
Schlierenzauer: Die Bilder, die ich zeige, hängen nicht mit meinem Privatleben sondern mit dem Sport zusammen. Es ist mir wichtig und ich finde es eine schöne Sache, wenn man den Fans und Sponsoren, die einen unterstützen, etwas zurückgeben kann. Zu einem Sportlerleben gehört mehr dazu, als das, was man im Fernsehen sieht, wenn man  runterspringt. So kann zum Beispiel interessant sein, wie die Reise war, wie man überhaupt hinkommt zu dem Event, was man davor isst, was man alles sieht, und und und. All das sind wichtige Faktoren, die passen müssen um erfolgreich zu sein.

derStandard.at: Muss man sich als Skisprung-Star öfter mal regelrecht verkriechen um der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, dem Medienrummel zu entgehen und Ruhe zu haben? Und nervt das nicht manchmal gewaltig?
Schlierenzauer: Das kann natürlich schon vorkommen. Natürlich wird versucht, dass ich top abgeschirmt bin. Aber ich glaube, wenn man solche Erfolge wie ich in den letzten Jahren gehabt hat, dann ist das nicht ganz normal sondern außergewöhnlich und dann muss man auch lernen zu schätzen, dass Erfolg nicht normal ist. Man muss lernen es zu genießen.

derStandard.at: Ist ein Skispringer weniger ängstlich als ein "gewöhnlicher" Mensch?
Schlierenzauer: Nein, überhaupt nicht.

derStandard.at: Ein "normaler" Mensch wird es aber kaum wagen, sich auf den Zitterbalken zu setzen, geschweige denn runterzufahren oder zu springen ...
Schlierenzauer: Jeder Mensch hat gewissermaßen Angst auch ein Spitzensportler. Aber wenn man von klein auf 20 Jahre auf das Skispringen hintrainiert, dann ist das was anderes. Dann sind das andere Relationen.

derStandard.at: Es scheint, als würden die Wettkämpfe durch das neue Flugbewertungs-System (Anlauflänge und Wind werden eingerechnet) fairer werden. Wie ist diesbezüglich die Meinung unter euch Springern?
Schlierenzauer: Ich bezweifle das. Das neue System hat einen gewissen Vorteil, aber meiner Meinung stimmt die Umrechnung und somit die Relation nicht ganz. Deshalb ist es meiner Meinung nach nicht immer ganz fair. Aber es ist auch schwer zu sagen, was überhaupt fair ist. Die Frage ist, ob man es überhaupt berechnen kann und wie man das System noch perfektionieren kann. Da gibt es sicher noch einiges zu tun, aber grundsätzlich ist es nicht schlecht, wenn man ein System hat, mit dem man auf gewisse Wettersituationen reagieren kann.

derStandard.at: Sie setzen weiter auf die altbewährte Bindung und sind damit sehr erfolgreich, was insofern überrascht, weil man bei Olympia in Vancouver den Eindruck gewinnen konnte, dass es ohne die von Ammann erstmals eingesetzte Bindung nicht für ganz vorne reichen kann. Warum sind Sie nicht umgestiegen?
Schlierenzauer: Ich bin kurz umgestiegen im Sommer und zu Beginn des Winters, aber es hat einerseits nicht hundertprozentig funktioniert. Da möchte ich aber nicht der Bindung die Schuld geben. Ausschlaggebend aber war für mich ganz klar, dass es keine Sicherheitsbindung ist, sie ist nicht TÜV-geprüft und ich habe mich damit verletzt. Daher bin ich wieder auf die herkömmliche Bindung umgestiegen, die momentan als einzige im Weltcup TÜV-geprüft ist. Wenn man an die 30 Jahre alt ist und die Karriere mehr oder weniger am Ende ist, dann nimmt man eher gesundheitliche Risiken auf sich, aber ich bin erst 21 und habe hoffentlich noch viele tolle Jahre vor mir. Und ich habe auch schon einiges erreicht. So viel wie andere in ihrer Karriere nie erreicht haben. Und da denkt man dann natürlich bissl anders. Ich habe gelernt, dass man weiterhin auf sich schauen muss, dass man sich zwar weiterentwickeln muss, aber auch auf Altbewährtes und sich selbst vertraut.

derStandard.at: Wird eigentlich viel an den Bindungen herumgeschraubt und wie gefährlich ist dieses "Tuning" eigentlich?
Schlierenzauer: Es versucht einfach jeder im stillen Kämmerlein herumzubasteln. Soetwas wie letzten Sommer habe ich noch nie erlebt. Leider vergisst man dabei aber auf die Sicherheit. Das kann es aber nicht sein. Nachdem im Skisprungsport so gut wie alles reglementiert ist, finde ich es fast eine Frechheit, dass dieser wichtige Bereich nicht genügend geregelt ist. Da gibt es einiges zu tun für die Herren. Ich verwende lieber eine Sicherheitsbindung, die im Notfall aufgeht. Das gibt mir auch die notwendige Sicherheit. Die Tatsache, dass ich jetzt wieder gewonnen habe, zeigt auch, dass ich ein Techniker bin, den ganzen Schnick-Schnack nicht brauche und selber genug Stärken habe.

derStandard.at: Sie werden vom mehrfachen Rodelweltmeister Markus Prock gemanagt. Inwieweit kann ein Skispringer von den Erfahrungen eines Rodel-Weltmeisters profitieren?
Schlierenzauer: Ich profitiere sehr viel von meinem Onkel. Er hat mir viel geholfen und hilft mir noch immer sehr. Von einem der alles gewonnen hat kann man sich, no-na, immer wertvolle Tipps holen. Spitzensport ist in gewisser Weise Lebensschule, ob Skispringen oder Rodeln. Für mich waren als junger Athlet sehr viele Dinge selbstverständlich, darum ist es schon sehr wertvoll, einen Spitzensportler in der Familie zu haben.

derStandard.at: Sie haben eines Ihrer Saisonziele, nämlich die Skiflugbewerbe in Vikersund perfekt abgeschlossen, was darf man sich heuer noch von Ihnen erwarten?
Schlierenzauer: Ich habe mir nach der Verletzung neue Ziele gesetzt und darauf habe ich hingearbeitet. Dass es dann so gut aufgegangen ist, ist sensationell. Mein Ziel ist heuer ganz klar Norwegen. Zuerst wars Vikersund und jetzt die WM. Da werde ich versuchen, alles rauszuholen und was dann noch kommt, ist Draufgabe. Mir ist aber auch bewusst, dass sehr viel zusammenpassen muss, weil Skispringen kein Wunschkonzert ist. Die WM ist nicht lebenswichtig für mich, sondern es überwiegt der Spaß und die große Freude in das nordische Mekka zu kommen und da die WM zu erleben. In einem Land, wo der nordische Sport so einen großen Stellenwert hat und wo man vielleicht vor 100.000 Leuten springt. Darauf freue ich mich.

derStandard.at: Die WM steigt von 26. Februar bis 6. März 2011 in Oslo. Sie haben im März 2008 schon ein Weltcupspringen dort gewonnen. Liegen Ihnen die WM-Schanzen?
Schlierenzauer: Damals stand aber noch die alte Schanze. Die neue 90er kenne ich noch nicht, auf der 120er war letztes Jahr Premiere. Damals war es sehr windig. Aber das darf man alles nicht überbewerten. Wenn das Gefühl passt, springt man fast auf allen Schanzen sehr gut. Ich bin sicherlich nicht Ergebnis orientiert, sondern versuche auf mich zu schauen und Freude zu haben. Alles andere ergibt sich. Dass man sich eine Medaille erwünscht oder darauf hin arbeitet, das ist klar. (derStandard.at, 15. Februar 2011)