Die aktuelle Debatte über die Wehrpflicht und Wehrsystem wird häufig dazu benutzt, andere Themen in den Vordergrund zu schieben, die damit ursächlich wenig zu tun haben. So wird etwa argumentiert, eine Freiwilligenarmee sei mit der österreichischen Neutralität nicht mehr vereinbar. Das Ende der Neutralität sei daher vorgezeichnet. Ein verwandtes Argument lautet, einer Freiwilligenarmee würde zwingend der Beitritt Österreichs zur Nato folgen. Umgelegt auf Europa heißt diese Verknüpfung, eine Freiwilligenarmee sei die Grundlage für eine Europaarmee, die im Vertrag von Lissabon der EU vorgesehen sei. All diese Kombinationen sind konstruiert und keinesfalls zwingend.

So oder so, die Neutralität ...

Richtig ist wohl, dass eine Sicherheitsstrategie die Basis für das Wehrsystem (u. a. Wehrpflicht oder Freiwilligenarmee) ist. Die beiden vorliegenden Entwürfe der SPÖ und der ÖVP sind einander in der grundsätzlichen Ausrichtung so ähnlich, dass daraus aber kein fundamentaler Unterschied im Hinblick auf das Wehrsystem ableitbar ist.

Beide Entwürfe sehen auf absehbare Zeit keine große konventionelle Bedrohung für Österreich. Die Aufgaben für das Österreichische Bundesheer sind umfassend definiert: internationales ziviles und militärisches Krisenmanagement; nationale, europäische und internationale Solidaritätsleistungen im Falle von Menschen gemachten oder Naturkatastrophen; Konfliktverhütung; Postkonflikt-Stabilisierung und Friedenssicherung.

Die meisten dieser Aufgaben, darüber besteht Konsens, können nur von Freiwilligen und Berufssoldaten wahrgenommen werden. Die offene Frage kann nur sein, wie diese rekrutiert werden. Ein Argument für die Beibehaltung eines Wehrpflichtarguments würde lauten, dass aus diesem Topf, Berufs-, Zeit-, Milizsoldaten gewonnen können. Das Modell des Verteidigungsministers sieht hingegen ein Anreizsystem vor. Beides ist für die neuen Aufgaben möglich.

Keines der Modelle stellt die Neutralität infrage. Alle genannten Tätigkeiten werden bereits jetzt vom Bundesheer ausgeführt - unter anderem in Kooperation sowohl mit der Europäischen Union als auch der Nato. Dasselbe gilt für das Bündnismitglied Dänemark mit einem reduzierten Wehrpflichtsystem oder das bündnisfreie Schweden mit einer Freiwilligenarmee. Der Lissabonner Vertrag anerkennt die verfassungsmäßigen Besonderheiten von neutralen wie von Bündnisstaaten und stellt keine Beschränkung für Österreichs Teilnahme an der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik dar, was von den Strategieentwürfen beider Parteien auch gewürdigt wird.

Im neu adaptierten Verfassungsartikel 23j (früher 23f) wird die Teilnahme Österreichs an den friedenserhaltenden und friedensschaffenden Missionen der EU ermöglicht. In den Erläuterungen heißt es ausdrücklich, dass die "österreichische Neutralität auch durch den Vertrag von Lissabon gewahrt bleibt", und dass Österreich auch in Zukunft selbst darüber entscheiden wird können, "ob sowie auf welche Weise Unterstützung geleistet wird".

Eine Zusammenarbeit der EU-Länder wird im Lissabonner Vertrag durchaus gewünscht; Sie beschränkt sich nicht notwendigerweise auf Nachbarländer, wie das in der österreichischen Diskussion gemacht wird. Auch die EU-Krisenreaktionskräfte sind gesamteuropäisch zusammengesetzt.

Wenn der Vertrag als Zielvorstellung eine "gemeinsame Verteidigung" (Art. 42.1) angibt, so meint er damit nicht eine Europaarmee, in der die Mitgliedstaaten ihre Besonderheiten aufgeben. Im Art. 4 heißt es daher: "Die nationale Sicherheit bleibt in der alleinigen Verantwortung jedes Mitgliedsstaates."

... bleibt unangetastet

Bei dieser eng geführten militärischen Debatte, soll nicht übersehen werden, dass Neutralität nicht nur kein Nachteil ist, sondern auch Vorteile hat. Sie signalisiert, dass Österreich keine weltweiten geopolitischen Interessen hat.

So kann sich Österreich etwa darum bemühen, einen neutralen Boden für die Abhaltung der Konferenz über einen nuklearwaffenfreien Mittleren Osten 2012 anzubieten. (Heinz Gärtner, DER STANDARD, Printausgabe, 15.2.2011)