Foto: Kunsthistorisches Museum Wien

Frankfurt am Main - Nach Ungeheuerlichem muss man auch in einer anderen Ausstellung nicht lange suchen. Allerdings hat das Monströse - was, die Historie betrachtend, nicht besonders erstaunlich ist - in diesem Fall Menschengestalt: Als der Langobardenkönig Albuin den Gepidenkönig Kunimund besiegte, nahm er dessen Tochter Rosamunde zur Frau. Beim Festmahl zwang er sie, aus dem Schädel ihres Vaters auf den Sieg zu trinken. Statt ihm ihr Herz zu schenken, lässt die schöne Rosamunde ihren Gatten allerdings ermorden.

Das blutige, hier noch lange nicht endende Racheepos, findet sich in kunstfertigster Schnitzkunst des sogenannten Meisters der Sebastiansmartyrien auf einem Deckelpokal aus Elfenbein (um 1657); die 56 Zentimeter hohe Kostbarkeit ist eine von 23 Leihgaben aus der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums in der Ausstellung Elfenbein. Barocke Pracht am Wiener Hof im Frankfurter Liebieghaus.

Wieso ausgerechnet dieses unendlich grausame, verachtenswürdige Thema seinen Weg auf ein Prunkgefäß mit repräsentablen Funktionen fand, bleibt schleierhaft. Fest steht: Ab 1650 waren Rosamunde und Albuin beliebtes Motiv und Elfenbein das Material der Zeit.

Das exotische Modematerial schätzte man für seine Elastizität bei gleichzeitiger Stabilität. Durchscheinend und durchzogen von Äderchen, ähnelte es der Haut, eine Qualität die half, dem barocken Anspruch, Illusion von Körper herzustellen, umzusetzen. Und was auch nicht ganz unwichtig war: Es war eines der exklusivsten und teuersten Materialien der Zeit. Wie brutal der Weg der Beschaffung war, das wird über der Reinheit des weißen Materials, seiner Sinnlichkeit und der ihr zugesprochenen Kraft allzu leicht vergessen. Die erstaunlich filigran gearbeiteten Zerbrechlichkeiten tun das Ihre dazu.

Entzückend etwa die Details einer Deckelkanne mit Jagd- und Fischereiszenen von Balthasar Grießmann (Ende 16. Jh.): Ein kaum zwei Zentimeter großer Jäger klammert sich an den reich umrankten Henkel wie an einen zu erkletternden Baumstamm.

Dem Zauber des Elfenbeins erlegen ist auch KHM-Direktorin Sabine Haag. Da "sei sie leicht zu erwischen", gesteht sie. Die Kooperation mit dem Frankfurter Haus fand jedoch auch zu einem glücklichen Zeitpunkt statt: Die Wiener Kunstkammer wird nach der Generalsanierung erst 2012 ihre Schätze wieder umfassend präsentieren können.

Zum Elfenbein gekommen ist die Kunsthistorikerin Haag im Übrigen über ein fehlendes Dissertationsthema. Man trug ihr ein Elfenbeinstück an, und seither hat sie die Faszination nicht mehr losgelassen. Ganz im Gegenteil zum Wiener Hof: Dort erlebte die Elfenbeinschnitzerei unter Kaiser Leopold I. zwar seine Blütezeit, aber als das Material ausgereizt war und mit Matthias Steinl seinen Höhepunkt gefunden hatte, verlor man das Interesse. Neues Modematerial wurde - ebenfalls weiß - Porzellan. (kafe, DER STANDARD - Printausgabe, 15. Februar 2011)