Die Chancen, dass der Sturz von Hosni Mubarak den Ägyptern mehr Freiheit und vielleicht auch eine funktionierende Demokratie bringen wird, stehen gar nicht so schlecht. Aber den Millionen Menschen, die in den vergangenen Wochen auf die Straße gegangen sind, ging es nicht nur um freie Wahlen und politische Mitsprache. Sie wollen auch mehr Arbeitsplätze, ein höheres Einkommen und mehr soziale Sicherheit. Eine bessere wirtschaftliche Zukunft zu schaffen wird den zukünftig Regierenden allerdings noch viel schwerer fallen als politische Reformen, und seien sie auch noch so tiefgreifend.

Ägypten gehört zwar nicht zu den ganz armen Ländern der Welt, aber auch nicht zu jenen Schwellenländern, die rasant zu den Industriestaaten aufschließen. Das bevölkerungsreichste arabische Land leidet unter den Lasten eines durch Jahrzehnte des Nasser-Sozialismus aufgeblähten Staatssektors, Korruption und fehlender Unternehmenskultur. Aber anders als in Tunesien war die Korruption nicht in der Herrscherfamilie konzentriert; Mubaraks Abschied wird daher an den Schmiergeld-Kultur in der Verwaltung und Wirtschaft nicht viel ändern.

Kein arabisches Land hat den Sprung zum Tigerstaat nach ostasiatischem Vorbild geschafft, aber Ägypten hat in den letzten Jahren der Mubarak-Herrschaft - wenn auch spät - Schritte in die richtige Richtung unternommen. Die Wirtschaftsreformen, die 2004 einsetzten, haben dem Land eine Flut von Auslandsinvestitionen und höheres Wachstum gebracht, aber auch die Ungleichheit in der Gesellschaft weiter verschärft.
Das Beste, was eine demokratisch gewählte Regierung tun könnte, wäre, diesen Kurs fortzusetzen oder sogar zu beschleunigen. Die exzessive Regulierung gehört weiter reduziert, die teuren Subventionen von Brot und Speiseöl gehören abgebaut, damit der Staat das Geld für Schulen, Spitäler und den Ausbau der Infrastruktur einsetzen kann. Aber all das würde den jungen Demonstranten kurzfristig wenig bringen. Es dauert Jahre, bis sich solche schmerzhaften Reformen in neuen Jobs und einem höheren Lebensstandard niederschlagen. 

Die Gefahr ist, dass neue politische Kräfte mit populistischen Versprechen wetteifern, was nur die Staatsverschuldung hinauftreibt und die Wettbewerbsfähigkeit mindert - ein Griechenland mit bitterer Armut.

Selbst wenn eine neue Regierung alles richtig macht, bleiben die strukturellen Probleme ungelöst. In der ganzen arabischen Welt ist die Produktivität niedriger als das Lohnniveau. Außer Öl und Gas gibt es keine Exportindustrie, die mit den hocheffizienten Anbietern aus Asien mithalten könnte. Der gut ausgebaute Tourismus bringt Ägypten zwar Devisen und Jobs, aber keinen echten Entwicklungsschub. Dafür könnte es in einem liberaleren politischen Klima gelingen, moderne Dienstleistungen wie Satelliten-TV, Software und Banken verstärkt in Kairo zu etablieren.
Die Europäer, die wichtigsten Handelspartner, können dabei nur am Rande helfen. Wohl wäre es gut, neuen Demokratien in Nordafrika die eigenen Märkte stärker zu öffnen und Expertise für Reformen zu bieten. Auch ein Neustart für die eingeschlafene EU-Mittelmeerunion, wie sie Außenminister Michael Spindelegger empfiehlt, ist angesagt. Aber den Pfad, der zu mehr Wachstum führt, müssen die Staaten selbst finden. Schaffen sie das nicht, dann schwindet auch die Hoffnung auf eine demokratische Zukunft. (Eric Frey, DER STANDARD, Printausgabe, 14.2.2011)