Sechs Singstimmen und fünf Instrumente: Das genügt Harrison Birtwistle für seine Kammeroper The Io Passion (2004). Trotz der winzigen Besetzung sind es allerdings große, allzumenschliche Themen, die der Brite in 90 pausenlosen Minuten abhandelt: Dass es um zeitlose Emotionen und die damit verbundenen Eruptionen geht, wird durch die Verbindung der griechischen Mythologie mit zeitgenössischen Erzähltechniken überdeutlich gemacht. Die Götter- und Halbgötterwelt bildet nicht mehr als eine Hintergrundfolie für die Verstrickungen zwischen Mann 1 bis 3 und Frau 1 bis 3, die auch unter den Namen Hera, Io, Zeus oder Hermes firmieren.

In sieben bruchstückhaften Szenen werden immer wieder ähnliche Konstellationen heraufbeschworen, Leidenschaft und Eifersucht entfacht, werden romantische Briefe verlesen und blinde Triebe zum Leben erweckt. Dazu hat der Komponist ohne allzu ausgeprägten Innovationsdrang ("Wenn ich originell bin, versuche ich nicht, originell zu sein") betörend schöne Klangimpressionen geschrieben, die das Ensemble (Streichquartett und Bassklarinette) unter der Leitung von Daniel Hoyem-Cavazza in der Wiener Kammeroper ätherisch zum Leuchten bringt.

Daneben ist freilich auch eine primitive Kopulationsmusik zu bewältigen, was Regisseurin Nicola Raab im ästhetisierten Bühnenraum von Claudia Doderer durch räumliche Trennung der Kopulierenden gut gelöst hat. Ansonsten führt sie das ansprechende Ensemble auf der Bühne so deutlich wie nur möglich durch die aufgesplitterten Handlungsströme. (daen/ DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.2.2011)