Stephan Schulmeister: "Für alle hochverschuldeten Länder gilt: Wir sind in der letzten Phase der Krise."

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Standard: Die USA rücken stärker in den Fokus der Schuldendebatte. Auch das Wort Staatsbankrott macht die Runde. Ist das tatsächlich ein realistisches Szenario?

Schulmeister: Für alle hochverschuldeten Länder gilt: Wir sind in der letzten Phase der Krise. Das Grundproblem des Finanzkapitalismus ist, dass Werte geschaffen wurden, die keine realpolitische Deckung hatten. Dieses Problem wurde dann an die Staaten weitergewälzt. Die realwirtschaftliche Deckung der Staatsschulden ist nichts anderes als das künftige Wirtschaftswachstum. Es muss also langfristig stabiles Wachstum geschaffen werden, sonst braucht man entweder eine kräftige Inflation oder eine Umschuldung.

Standard: Also halten Sie es für angebracht, dass US-Präsident Obama das Schuldenlimit weiter anheben will, obwohl es schon bei gigantischen 14,3 Billionen Dollar liegt?

Schulmeister: Natürlich, weil Schuldenlimits entsprechen einem Arzt, der dem Patienten befiehlt: Werde gesund. So funktioniert das aber nicht. Ich brauche eine Diagnose, dann kann ich therapieren. In Europa hängt man der Symptomtherapie an. Nach dem Motto: Wenn der Staat nur genug spart, kann er seinen Schuldenstand verringern. Schön langsam erkennt man, dass das ein Denkfehler ist. Jene Länder, die am radikalsten sparen, wie Griechenland und bald Großbritannien, verfehlen ihre Ziel und schaffen kein Wachstum. Diese Einsicht haben die Amerikaner schon vor 20 Jahren gewonnen.

Standard: Wie meinen Sie das?

Schulmeister: Schon unter Clinton hat man ein Defizit von damals sechs Prozent nicht mit Sparpolitik bekämpft. Man hat begriffen, dass ein Defizit Ausdruck der Dysfunktionalität des Gesamtsystems ist und dass man unternehmerische Tätigkeit besser stellen muss, damit dieser Sektor die Überschüsse der Haushalte übernehmen kann.

Standard: Kräftiges Wachstum klingt gut. Viele meinen aber, dass hohe Wachstumsraten der Vergangenheit angehören.

Schulmeister: Dann kriegen wir ein fundamentales Problem. Der Punkt ist aber: Wenn alle Staaten nur noch sparen, werden die Unternehmen sagen: Wir warten mit unseren Investitionen lieber ab. Wer weiß, ob das nicht wieder in eine Stagnationsphase führt.

Standard: Wie lösen die USA also praktisch ihr Schuldenproblem?

Schulmeister: Sie fahren wie immer eine pragmatische Kombi-Strategie. Sie schauen, dass die Realwirtschaft in Schwung kommt, tolerieren eine etwas höhere Inflation, sorgen für dauernde Niedrigzinspolitik. Und, was für Europa mittelfristig bedenklich ist: Sie versuchen die Exporte durch eine weitere Schwächung des Dollars zu befördern.

Standard: Darunter könnten die europäischen Exporte leiden.

Schulmeister: Natürlich. Deutschland lebt fast ausschließlich vom Exportwachstum. Es ist auch kein Zufall, dass die US-Verschuldung nun verstärkt zum Thema gemacht wird. Warum? Indem zu sehr über die Euro-Schulden in den Medien diskutiert wurde, bestand die Gefahr, dass der Euro stark an Wert verliert und der Dollar aufwertet. Nichts ist den Amerikanern unangenehmer, als wenn das passieren würde.

Standard: Das heißt, die USA versuchen ihre Probleme an andere Regionen auszulagern?

Schulmeister: Sicher, das haben sie immer gemacht. Das ist etwas, das ein Leitwährungsland viel leichter tun kann als jedes andere Land. Wenn dem Leitwährungsland der Dollarkurs egal ist - und die USA wollen geradezu, dass der Dollarkurs sinkt -, dann kann es nach dem Motto "Friss Vogel oder stirb" sagen: Entweder ihr akzeptiert eine weitere Abschwächung des Dollars und habt dafür eine Chance, dass eure Forderungen bedient werden. Oder ihr sagt: Ihr wollt keine Dollar mehr akkumulieren, dann wird aber der Dollarkurs noch stärker fallen. (Günther Oswald, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 11.2.2011)