Caravaggios Rosenkranzmadonna wird nach der Défiguration von François Morellet zu einer abstrakten Komposition.

Foto: Galerie Ruzicska

Salzburg - Die konkrete Kunst nennt sich so, weil sie nichts anderes sein will als sie selbst. Weder gesellschaftskritische Themen noch individuelle Empfindungen liegen im Blickfeld. Im Fokus steht vielmehr eine Kunst, die sich an mathematischen und geometrischen Regeln orientiert.

Einer der großen Meister, die dieses Prinzip von Regel und Zufall sehr intensiv verfolgen, ist François Morellet. Im Jahr seines 85. Geburtstags präsentiert die Galerie Ruzicska eine Werkschau Morellets mit ausgewählten Arbeiten der vergangenen 25 Jahre.

Scheinbar chaotisch hingeworfen wirken seine geometrischen Werke aus Quadraten, Kreisen und Rechtecken. Doch in den minimalistische Formen steckt System. Etwa in Morellets aktuellsten Arbeiten aus dem Jahr 2010: In Enchaînement (Verbindung, Verkettung) kombiniert der französische Künstler jeweils vier rechtwinkelige Neonstäbe mit einer quadratischen weißen Leinwand, bei Lunatique weeping and néonly n°2 bilden zwölf gerade weiße Neonröhren - mikadoartig anmutend - eine scheinbar chaotische Linienstruktur.

Als bemerkenswertes Objekt in der Salzburger Ausstellung, zugleich Blickfang beim Eintreten in die Galerie, entpuppt sich das Après réflexion genannte Werk. Hier griff Morellet eine seiner Installationen aus dem Jahr 1964 auf: Sechs sich kreuzende Neonröhren waren damals an einer schwarz gestrichenen Raumdecke montiert und spiegelten sich in einem etwa gleich großen Wasserbecken. Eine Fotografie der verzerrten Wasserspiegelung von sechs sich kreuzenden Neonröhren diente ihm vierzig Jahre später als grafisches Vorbild.

Besonderen Esprit besitzen aber die von Morellet eigens für diese Ausstellung geschaffenen Défigurations (auf Deutsch auch: Verunstaltung) mit Bezug auf zwei Meisterwerke österreichischer Sammlungen. Das Waldmüller-Bild Kinder am Fenster (Residenzgalerie Salzburg) sowie Caravaggios Rosenkranzmadonna (Kunsthistorisches Museum Wien) defigurierte Morellet, in dem er die Köpfe der dargestellten Personen durch unbehandelte Leinwände ersetzte und die so gefundene Komposition vor einer weißen Wand installierte. Diese Abstraktionen offenbaren die unsichtbaren Ordnungsstrukturen seiner Vorbilder und beweisen zudem François Morellets Faible für Humor. (Christian Weingartner, DER STANDARD - Printausgabe, 10. Februar 2011)