Magnifico tollt aus André Hellers Bettenflucht mitten hinein in die schnöde Wirklichkeit: Ein Pferd bannt die bösen Träume einer entzauberten Welt.

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Im Herbst auch in Wien.

Selbst die Wettergötter waren dem Spektakel wohl gesonnen. Und schickten auf den sibirischen Frost frühlingshafte Temperaturen, sodass der Zeltpalast (25.000 Quadratmeter, 20 Meter Höhe) doch noch rechtzeitig vor den Toren Münchens aufgestellt werden und Zirkusdirektor André Heller die 2700 Premieregäste dorthin schicken konnte, "wo das Wundersame das Selbstverständliche ist". In ein surreales Kaleidoskop aus Zirkus und Pferdeshow, aus Verwirrendem und Erstaunlichem, aus bildgewaltigen Szenerien der Heller'schen "Anderswelt".

Magnificos Traum entstammen all die Einfälle, die sein Regisseur im Standard-Interview "Hobelscharten einer spannenden Probenarbeit" genannt hat. Dass das Einhorn, als Holzschnitt von der Großmutter zur Verbannung böser Träume einst über das Bett des ängstlichen Kindes gehängt, den weltberühmten Geschichtenerzähler davon überzeugte, doch noch einmal einen Zirkus zu machen, hat sich gelohnt. Es ist vielleicht seine schönste, bestimmt aber seine aufwendigste Show geworden.

HipHop der Zentauren

Eine grüne Libelle nimmt uns mit Schalk bei der Hand ins Land der Fantasie. Marionettenpferde - das eine klein und aus Holz, das andere echt und nur zur Tarnung mit Drähten nach oben in den Schnürboden verbunden - werfen unweigerlich die Frage nach Sein und Schein auf. Kaum hat man sich an diesem vielschichtigen Bild erfreut, führen Zentauren eine derbe HipHop-Nummer auf.

Doch bevor man ihrer Erotik auf den Leim gegangen ist, kommen Frederic Pignons Pferde in das Zirkusrund und verzaubern uns ganz und gar. Sie sind anmutig, frei und bezähmt. Dass der Magier die Schönheit diese Tiere nicht schon viel früher für sich entdeckt hat, erstaunt. Sie passen zu ihm und seinem Gemüt.

Und weiter stürzen die Zuschauer - durch Bilder voller Geschichten, voller Bezüge zu Mythologie, Kunst und Poesie, von närrischen Clowns zum Lachen gebracht und von Schattenspielern bezaubert. Monsieur Pierrot besteigt ganz schwerelos eine Leiter, wie Verszeilen eines Gedichts, und hält, oben angelangt, das prekäre Gleichgewicht - so wie Heller selbst mit seiner ausgeprägten Begabung für Timing, Präzision und dem Blick für jedes Detail die Balance hält und Bewunderung für das Können seiner erstklassigen Verbündeten einfordert.

Ein solches Zauberland der Fantasie kann man nur in liebevoller Zusammenarbeit mit Künstlern aller Art erfolgreich betreten. Und doch legt der überbordende Bilderweltenerfinder seiner Fantasie manchmal Zügel an und erbittet von allen Anwesenden nur eines: äußerste Konzentration. Etwa wenn Rigolo seine schamanistische Übung mit Rippen von Palmblättern vollführt, die sie so ineinander fügt, dass eines das andere trägt - auch so ein Symbol für das Zusammenspiel einzelner Qualitäten zum magischen Ganzen.

Tanz des Seepferdchens

Doch kaum hat man sich's gedacht, führen Quallen, die etwas an Großmutters Badehäubchen erinnern, wundersame Mantas und ein filigranes Seepferdchen ihre jeweiligen Tänze auf. Auch sie bringen die Koordinaten der Wirklichkeit durcheinander, sodass wir die Echtheit von Pegasus' Flügeln gar nicht mehr anzweifeln wollen. Und wieder folgen Brüche, Kontraste, regelrechte Bilderkaskaden. Ein klappriges Kamel mit unzähligen Wasserflaschen am Rücken, zur langen Reise bereit, schaut einer Gruppe von chinesischen Akrobaten zu. Und schließlich erscheint die Spinne Adelheid. "Die Welt ist eine Spinnerei", singt sie, und wir glauben ihr aufs Wort.

Wer sich mehr Ordnung in dem Feuerwerk der Fantasie gewünscht hat, dem sei gesagt, dass gerade das ständige Ineinandergreifen von Bildern, Tönen und Atmosphären vom Regisseur gewollt ist. Und all jenen, die die Traumprotagonisten festhalten und nach ihren Geschichten befragen wollten, wird schlicht eine Wiederholung des herzensfrohen Spektakels empfohlen.

Dann endlich, am Ende all seiner Träume, erscheint Magnifico selbst, sanft und wild, liebevoll und frech, unendlich schön galoppiert das Einhorn aus Hellers Kindheit durch die Manege, und wir bitten, dass es künftig auch unseren bösen Träumen Einhalt gebieten und stattdessen so schöne, wie die gerade eben erlebten, schicken möge. (Monika Czernin, DER STANDARD - Printausgabe, 10. Februar 2011)