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Niemandsland zwischen Spanien und Marokko.

Foto: REUTERS/Anton Meres

Reiner Wandler besucht seit Mitte der 1990er Jahre mit Notizblock und Kamera regelmäßig den Maghreb.

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Ich bin ein musikalischer Mensch. Nein, ich spiele weder Geige noch Piano und die Versuche meiner Eltern - ich komme vom Rande des Schwarzwaldes - mich an die Kunst des Akkordeonspielens heranzuführen, endete nach mehreren Jahren erfolglosem Unterrichts im Streit. Ich halte mich dennoch für musikalisch, weil die meisten meiner Lebensabschnitte einen Soundtrack haben.

Die Jahre des Terrors in Algerien sind mit der Stimme von Cheb Hasni, dem Rai-Sänger aus Oran verbunden, der 1994 im Alter von 26 Jahren ermordet wurde. Die Berberaufstände in der Kabylei verbinde ich mit den Protestsongs von Lounès Matoub, den ich vermutlich als letzter ausländischer Journalist in seinem Bergdorf besuchte, bevor auch er 1998 einem Anschlag zum Opfer fiel.

Und auf den Fahrten durch den Atlas in den Jahren, als Terrorkommandos mit Straßensperren Geld erpressten sowie Ausländer und andere unliebsame Reisende suchten, hörten wir Rap. "Wenn uns was passiert, dann zumindest mit guter Musik", begründete mein Fahrer, der im Laufe der Jahre zum Freund wurde, diese Vorliebe.

Hamma Boys hieß eine der Gruppen, die in den 1990ern in Algier gen Bürgerkrieg und Macht anrappten. Vor ein paar Tagen kramte ich einen ihrer Songs "Omar, Synonym für Verzweiflung" wieder hervor. Der Grund war eine Meldung in der spanischen Presse. Ein Immigrant aus Mali mit dem Namen Omar Chuick hatte versucht, den Grenzzaun, der die spanischen Enklave Ceuta von Marokko trennt, zu überwinden und wurde von der spanischen Polizei verhaftet.

Das an sich ist nicht weiter ungewöhnlich. Ganze Gruppen stürmen die doppelten Grenzbefestigung mit Natodraht und einer Straße für die Grenzpatrouillien dazwischen immer wieder. Doch Omar Chuick wollte nicht etwa nach Europa. Er wollte nichts wie weg, und machte etwas, was keiner vor ihm je getan hatte: Er sprang von Spanien nach Marokko.

"Verzweifelt" sei er gewesen, zitierte eine regionale Zeitung den 36-Jährigen. Er hatte sich vier Jahre in Spanien durchgeschlagen, ohne Papiere und ohne Arbeit auf der Straße gelebt. Als Omar vermutlich auf dem gleichen Weg nach Europa kam, auf dem er es jetzt verlassen wollte, boomte Spanien - gerade noch. Jetzt sind 20 Prozent arbeitslos. Da ist kein Platz für "sin papeles".

"Er hätte sich doch einfach nur stellen brauchen, dann hätten wir ihn abgeschoben", erklärte ein Polizeisprecher. Doch wer keine Papiere hat, hat eben Angst vor den Behörden. Und das zu Recht. Eine Woche nachdem Chuick aufgegriffen wurde, vagabundiert er noch immer durch die Straßen von Ceuta. Das Problem: Er hat keinen Pass und kann sich deshalb nicht ausweisen. Er verweigert die erkennungsdienstliche Behandlung. Und ohne Identifizierung lassen ihn die Spanier nicht ziehen. Der Mann aus Mali ist damit weder legal noch illegal. Er existiert ganz einfach nicht. "Omar, Synonym für Verzweiflung."