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Wien - In der Morgendämmerung sind die Straßen des San Fernando Valley kaum befahren. Bloß Barry Egan sitzt zu dieser Zeit in seinem marineblauen Anzug bereits im Büro. Draußen öffnen die Einstellungen einen Raum, der von seltsamen Vorfällen abrupt in seiner Ruhe gestört wird: Ein Auto gerät außer Kontrolle und überschlägt sich. Dann hält ein Truck und lässt ein Harmonium am Gehsteig zurück. Und mit dem ersten Sonnenstrahl blendet Emily Watsons Lena, ganz in Pink, die Sicht: Als Egan die Frau erblickt, versteckt er sich erst einmal vor ihr.

Liebe und die Angst, anders gesehen zu werden, als man gesehen werden will - womöglich sind diese Gefühle dafür verantwortlich, dass Paul Thomas Andersons Punch- Drunk Love die absonderlichsten Wendungen ganz selbstverständlich macht. Sie betreffen naturgemäß Egan, den neurotischen Antihelden, verkörpert von US-Comedystar Adam Sandler. Wie in Anger Management - derzeit im Kino - ist er ein Durchschnittstyp, dem der Alltag die schwierigsten Aufgaben bereithält. Seine Reaktionen darauf sind spezifische Ticks, im Ernstfall eine gewaltige Wut. Muss er im einen Film bei Jack Nicholson in Therapie, "heilt" ihn im anderen die Begegnung mit Lena.

Adam-Sandler-Filme sind alle ein bisschen ähnlich gestrickt - sie verlieren sich meist in ausufernder Brachialkomik, sie wiederholen ihre Erzählung vom Unvermögen, erwachsen zu werden. Mit Punch-Drunk Love schenkt Anderson Sandler nun seine bisher beste Rolle, weil er die Krise der Figur und ihre Verlorenheit ernst nimmt: Beispielsweise stattet er Egan mit sieben Schwestern aus, die ihn permanent bloßstellen. Da verwundert es kaum, dass er dreimal Anlauf nehmen muss, um eine Tür zu öffnen.

Es zählt allerdings nicht nur der Gag - Egans Gewaltausbrüche, seine Verzweiflung und sein Selbsthass sind mit einem Mal rührende Versuche, eine Persönlichkeit auszubilden. Natürlich agiert er "weird", macht nie das Naheliegende. Doch selbst wenn er massenhaft Pudding kauft, um Bonusmeilen zu sammeln - ist nicht eigentlich die Marketingidee absurd?

An allen Regeln vorbei

Schon nach Boogie Nights und Magnolia sprach man von Anderson als einem der talentiertesten US-Regisseure der jüngeren Generation. Punch- Drunk Love ist auf den ersten Blick weniger raffiniert konstruiert - die vielen Subplots führen hier ganz bewusst ins Leere und manche Nebenfigur ist verschwenderisches Beiwerk. Aber gerade diese Beiläufigkeit gibt dem Film die Freiheit, sich alles zu erlauben, sich jeder Regelhaftigkeit eines Genres zu widersetzen: Regenbogenfarbene Inserts strahlen nur um ihrer selbst willen, die verspielte Farb- und Lichtauflösung, die eigen willige Mise-en-scène (Kamera: Robert Elswit) ist nicht vordergründig, vielmehr stellt sie das Liebespaar in einen irrealen Rahmen innerhalb einer ganz konkreten Lebenswelt: Punch-Drunk Love ist schon jetzt eine der schönsten romantischen Komödien des Jahres, in der die Konflikte, die es bis zur Paarbildung zu überwinden gilt, sich aus einem langen Leben in Einsamkeit herleiten. Dementsprechend sonderbar ist Egans Liebeserklärung: Er würde Lenas zierliches Gesicht vor lauter Entzücken gern mit einem Amboss zerschmettern. Beim ersten Date mit ihr zertrümmert Egan noch die Toilette des Restaurants, der einmalige Zugriff auf ein Telefonsexangebot entwickelt sich zu einer der eigentümlichen Parallelgeschichten des Films - und nebenher skizziert Anderson noch die komischen Ausmaße einer US-Konsumkultur der Angst.

Anderson führt sein Paar in irritierendem Zeitmaß in die Umarmung. Doch die Romanze ist hier nicht nur Mittel, aus festgefahrenen Verhaltensmustern auszubrechen. Es geht auch darum, die Eigenschaften anderer zu akzeptieren - und Affekte besser zu kontrollieren: Am Ende dreht Egan seine eigene Bonusmeile, weil ihn die Liebe endlich stark macht. (DER STANDARD, Printausgabe vom 21.5.2003)

Ab Freitag im Kino