Einmal in der Woche treffen sich fünfzehn Frauen und hören gespannt zu, wenn Ernährungsmediziner Ata Kaynar auf Türkisch über gesunde Ernährung spricht. "Bei unserer türkischsprachigen Frauengruppe besteht ein größeres Wissensdefizit was Ernährungsinformation betrifft", erklärt Eva Trettler, klinische und Gesundheitspsychologin beim Frauengesundheitszentrum FEM-Süd.
Kultursensibel und geschlechtsneutral
Männer und Frauen werden bei "rundum gsund" in getrennten Gruppen betreut, die Trainer geschlechtssensibel eingesetzt und es gibt Gruppen für türkischsprachige Frauen oder Männer mit wenig Deutschkenntnissen. Wobei in den deutschsprachigen Gruppen auch türkischsprachige Frauen mit guten Deutschkenntnissen teilnehmen. "Es ist eher eine Frage, wie gut die Deutschkenntnisse sind, nachdem es sich um eine psychologisch geleitete Gruppe handelt, sollten die Infos schon verstanden werden, letztendlich ist es vollkommen egal welchen Migrationshintergrund die Teilnehmer haben", erklärt Trettler.
Sozial Schwache und Übergewicht
Zielgruppe des Projekts "rundum gsund" sind sozial Schwache mit starkem Übergewicht, also diejenigen, die einen Body-Mass-Index von 30-40 aufweisen und unter Adipositas leiden. Vor der Kursteilnahme gibt es ein Erstgespräch, in dem im Rahmen der jährlichen Gesundenuntersuchung auch medizinische Werte abgeklärt werden.
Das Programm ist niederschwellig ausgerichtet und für Menschen mit niedrigem Einkommen erschwinglich, es gibt auch Familiengruppen für stark übergewichtige Eltern und Kinder. Für den Kurs werden inklusive Kaution, die bei regelmäßiger Teilnahme nach Kurs-Ende rückerstattet wird, 100 Euro verrechnet. "Übergewicht ist ja auch ein Bildungsthema, ein Thema von sozial Schwachen", verweist Trettler auf aktuelle Studien.
"In Emotionen essen"
Trettler betont, dass keine Diät, sondern eine Ernährungsumstellung "im Sinne einer langfristigen Lebensstilveränderung" angeboten wird. Nicht nur Ernährungsinformation steht daher im Vordergrund, auch der psychologische Hintergrund von Übergewicht wird beleuchtet. "In welchen Momenten esse ich eigentlich, welche Emotionen stecken dahinter, esse ich wirklich, wenn ich hungrig bin? Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass die Frauen gar nicht mehr wissen, wann sie hungrig sind und einfach in Emotionen essen", so Trettler über das Instrumentalisieren von Essen in bestimmten emotionalen Situationen. Neben Ernährungsberatern und Bewegungstrainern sind daher auch Psychotherapeuten im Einsatz.
Kleine Schritte
Der Kurs dauert knapp neun Monate, denn "Gewohnheiten zu verändern ist wahnsinnig schwierig und braucht viel Zeit" weist Trettler auf das größte Hindernis für eine dauerhafte Änderung des Ess- und Bewegungsverhaltens hin. Anfangs seien die Frauen zwar sehr motiviert, aber auch ungeduldig. "Sie wollen am Anfang alles verändern, bei unserer Zielvereinbarung geht es aber um kleine Schritte, darum den Lebensstil so zu verändern, dass ich ihn lebenslang aufrecht erhalten kann", so die Psychologin. Gemeinsames Kochen, um zu lernen, wo man beispielsweise Fett einsparen kann, und Einkaufstrainings stehen ebenfalls auf dem Programm, um die Alltagsgewohnheiten langfristig umzustellen.
Generell haben laut Trettler alle weiblichen Teilnehmerinnen Diäterfahrung, die Männer hingegen, egal ob mit guten oder weniger guten Deutschkenntnissen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund eher weniger. "Oft schicken die Frauen ihre Männer zum Abnehmen in den Kurs, bei den Frauen ist es eher umgekehrt, ihre Partner unterstützen sie meist nicht bei der Lebensumstellung, die Frauen müssen dann doppelt kochen", so die Psychologin.
Wenig Sporterfahrung
Das Wort Sport wird weder bei den Frauen- noch bei den Männergruppen gerne gehört und ist laut Trettler negativ assoziiert, "damit ist gleich mühsame Anstrengung oder das Nichtgewähltwerden beim Völkerball im Schulunterricht verbunden." Ein Lauftraining dreimal in der Woche sei für diese Zielgruppe, die sich jahrzehntelang nicht bewegt oder Sport gemacht hat, unmöglich, betont Trettler.
In den einmal pro Woche stattfindenden Kurseinheiten wird daher neben Ernährungsinformation auf schonende Gymnastik mit Therabändern gesetzt. Um die Alltagsbewegung zu erhöhen, bekommen die TeilnehmerInnen auch einen Schrittzähler für zuhause, der anscheinend sehr beliebt ist. "Die Kursteilnehmer lieben den Schrittzähler, das motiviert sie sehr." Erste Evaluierungen des "rundum gsund"-Projekts zeigen, dass sich die Blutdruck- und Zuckerwerte der Teilnehmer nach einem Jahr besserten, die kleinen Schritte zeigen also ihre Wirkung. (Güler Alkan, 9. Februar 2011, daStandard.at)