670 Menschen und 252 Fahrzeuge sind wochentags im Einsatz, damit Wien nicht im Müll versinkt - Ein Lokalaugenschein

Wien - Angst um ihre Arbeit müssen die "48er" Wolfgang Koller und Alain Elmer nicht haben. Die Wegwerfgesellschaft ist für sie ein Jobgarant: 500.000 Tonnen Abfall gilt es pro Jahr in Wien einzusammeln und in dieser Zahl ist der auf Mistplätzen abgegebenen Unrat noch nicht inkludiert. Um diese Massen zu bewältigen, rücken pro Tag 252 Müllfahrzeuge und rund 670 Menschen aus. derStandard.at begab sich auf Tour mit der Müllabfuhr.

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Die amtliche Bezeichnung für die Mitarbeiter der Magistratsabteilung 48 lautet "Müllaufleger". Dieser Ausdruck wurde seit Anfang des vorigen Jahrhunderts beibehalten. Damals legten die Männer die Kisten mit der Asche aus den Öfen nur auf die Pferdewagen auf, um eine unangenehme Staubentwicklung bei Umkippen des Inhalt zu vermeiden.

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Inklusive Zulagen können Müllaufleger mit einem Einstiegsgehalt von 1500 Euro netto rechnen. "Empfohlen wird den Bewerbern ein abgeschlossener Lehrberuf, egal welcher", sagt Volkmar Kloud, Leiter der Müll- und Altstoffsammlung. Frauen haben jedoch schlechte Karten, denn es gibt keine Müllauflegerinnen. Kloud erklärt die Haltung der MA48: "Frauen sind als Lenkerinnen oder Straßenreinigerinnen im Einsatz. Wir haben jedoch Studien dazu machen lassen, dass der Beruf des Müllauflegers bei Frauen schneller zu Abnutzungserscheinungen führt und auf längere Dauer daher nicht zu machen ist."

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Vom Standort in der Einsiedlergasse fahren pro Tag zehn bis 15 Wagen weg, in Zukunft soll die Zahl auf fünf reduziert werden. Dafür wird die neue Dependance im 23. Wiener Gemeindebezirk ausgebaut. Mit welchen Unannehmlichkeiten müssen sich die Müllaufleger des 21. Jahrhunderts plagen? "Unschön sind im Winter die Schneehaufen, die am Gehsteigrand zusammen geschaufelt werden: Wir müssen die schweren Tonne darüber ziehen. Zum Glück gibt es jetzt fast nur noch schwarze Plastiktonnen und nicht mehr die schweren Eisentonnen. Die Eisernen sind schon leer ein Wahnsinn", berichtet der Lenker des Müllwagen, Paul Hobiger.

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Unbeliebte Abfälle im Restmüll sind auch heute noch die staubigen Rückstände aus den Öfen. Rollsplitt, der in den Tonnen eigentlich nichts verloren hätte, staubt den Müllmännern ebenfalls entgegen. Der Leiter, erklärt, warum die kleinen Steine im Restmüll zusätzlich problematisch sind: "Bei der Verbrennung bewegen sich Stege, die den Müll langsam weiterschieben. Rollsplitt kann diese Stege blockieren."

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Die Müllaufleger bekommen im Laufe ihres Arbeitstages unterschiedliche Häuser zu sehen. "Von verdreckten Anlagen kann man nicht reden, aber von unordentlichen", sagt Alain Elmer und zupft an einem Tannenast herum, der den Einlass zur Mülltrommel blockiert.

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Die Mülltonnen werden an die Rückseite des Wagens gehängt und durch Betätigen eines Hebels hochgezogen und umgekippt. Der Lenker hat die Aufgabe, die Rundumleuchten zu aktivieren, um auf das Stehenbleiben hinzuweisen. Die Müllableger, wie hier Wolfgang Koller, bedienen die Maschine im Inneren des Wagens selbst.

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Wenn der Abfall in die Trommel des Müllautos gelangt, wird er durch spiralförmige Stege komprimiert. Trotz der Kräfte, die sich im Inneren des Wagens abspielen, ist in der Fahrerkabine nur ein leichtes Schaukeln zu bemerken.

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Fahrzeuge, die Altpapier sammeln, sind durch eine andere Bauweise zu erkennen: Sie sind nach hinten hin länger, da das Papier mit Hilfe einer Platte zusammengepresst wird. Der gesammelte Abfall wird in die Müllverbrennungsanlagen Spittelau, Pfaffenau und Flötzersteig transportiert. In Simmering gibt es eine Sondermüllverbrennungsanlage. Der meiste Müll sammelt sich nach Weihnachten. Da die Müllabfuhr bereits am 26. Dezember den ganzen Tag arbeitet, werden diese Spitzen abgedeckt.

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Sperriger Müll gehört prinzipiell in eine handliche Form gebracht, um die Arbeit der Männer nicht zu behindern. Nicht geeignet für die Restmülltonnen, die 120 bis 4.400 Liter umfassen können: Holzabfälle, Altreifen, Elektro-Altgeräte, Kartonagen, Styropor, Baum- und Strauchschnitt, Bauschutt, Beton, Streusplitt und Sperrmüll gehören auf den Mistplatz. Gegenstände mit gefährlichen Inhaltsstoffen, CDs, Altspeiseöle und -fette gehören zur Problemstoffsammlung gebracht. Und dann gibt es natürlich spezielle Behältnisse in denen zum Beispiel Glas, Altmetall, Papier und Biomüll gesondert gesammelt werden. Durch Mülltrennung landen in Wien 40 Prozent weniger Abfälle im Restmüll und können zum Teil recycelt oder weiterverwertet werden können.

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Leiter Volkmar Kloud räumt in dem Zusammenhang auch mit Mythen rund um die Mülltrennung und -verbrennung auf: Nach der Umstellung der Kunststoffsammeltonnen kam oft der Vorwurf, dass das Plastik im Restmüll für das Anheizen notwendig sei. "Stimmt nicht", sagt Kloud, "wir sammelten vorher 8000 Tonnen Kunststoff und nun 6000 Tonnen. Die 2000 Tonnen nicht verwertbare Kunststoffe und Fehlwürfe, die zu den insgesamt 500.000 Tonnen Restmüll pro Jahr addiert wurden, haben auf den Heizwert keinen Einfluss." Es werde auch kein Öl oder Gas während des Verbrennungsprozesses beigefügt. Gas diene nur zum Anzünden, berichtet der Experte.

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Bei der Fahrt im Müllwagen fällt auf, dass es entgegen der Erwartung nicht unangenehm riecht. "Der Job ist eher sauber, es stinkt gerade im Winter kaum", resümieren die Müllaufleger. Auch die Planung der Route trägt dazu bei: Ein Altenheim werde zum Beispiel erst am Ende des Tages aufgesucht, wie die Arbeiter berichten: "Denn in diesem Müll sind auch Windeln drin." Und wenn alles nichts mehr hilft, wird die Nase in den Fahrtwind gehalten.

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Auch aus der LKW-Kabine kommen keine Beschwerden. Die anderen VerkehrsteilnehmerInnen würden relativ gelassen reagieren, erzählt Lenker Paul Hobiger aus seinem Arbeitsalltag: "Wenn viele Autos, ein Bus oder eine Straßenbahn hinter uns stehen, machen wir schnell eine Runde um den Block. Wir müssen uns eigentlich nicht viel anhören." Besonderes Fingerspitzengefühl erfordert beim derStandard.at-Lokaluagenschein die Fahrt durch enge und zugeparkte Straßen im fünften Wiener Gemeindebezirk.

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"Die Wartelisten sind lang", antwortet Volkmar Kloud auf die Frage, wie groß die Nachfrage nach den Jobs bei der Müllabfuhr sei. Eine Schicht dauert von 6 bis 14 Uhr. Der Grund für die frühen Fahrzeiten ist eine Vermeidung der Verkehrsspitzen am Nachmittag. Nur in Ausnahmefällen werde bis 18 Uhr gefahren. "Gerade im Sommer sind die Arbeitszeiten natürliche klass'", sagt Hobiger. Und das frühe Aufstehen? "Gewohnseitssache", sagt er.  (Julia Schilly, derStandard.at, 10.2.2011)

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