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Assange bei seiner Ankunft am Londonder Gericht.

Foto: Matt Dunham/AP/dapd

Die Anwälte von Julian Assange fürchten eine Überstellung in die USA. Am Dienstag erhält der Australier Hilfe aus Stockholm.

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Mit einem Frontalangriff auf die schwedische Justiz will der Wikileaks-Chef Julian Assange seine Auslieferung aus Großbritannien verhindern. Ein fairer Prozess gegen den 39-jährigen Australier sei in Schweden "nicht möglich" , sagte Assanges Anwalt Geoffrey Robertson am Montag vor dem zuständigen Krongericht von London-Woolwich. Sein Mandant schwebe in der Gefahr, von Schweden in die USA ausgeliefert zu werden, wo ihm die Todesstrafe drohe.

Dem Aktivisten legt die Staatsanwaltschaft in Schweden sexuelle Nötigung sowie einen Fall von "minder schwerer Vergewaltigung" zur Last (Artikel rechts). Robertson: "Das ist ein Widerspruch in sich. Eine Vergewaltigung kann nicht minder schwer sein."

Das Internetportal Wikileaks hat seit Ende 2010 Tausende von US-Dokumenten ins Netz gestellt. Gegen den Chef der Enthüllungs-Website, den US-Vizepräsident Joe Biden in die Nähe von "Hightech-Terrorismus" rückt, ermitteln die US-Behörden offenbar wegen Anstiftung zum Geheimnisverrat. Assange soll den Gefreiten Bradley Manning zum Kopieren der 250.000 diplomatischen Depeschen angestiftet haben.

Scharf griff Robertson den schwedischen Anwalt der beiden mutmaßlichen Vergewaltigungsopfer, Claes Borgström, an. Dieser habe die Ermittlungsakte der schwedischen Justiz an interessierte Medien weitergegeben. "In diesem Land säße er deshalb wegen Missachtung des Gerichts im Knast" , sagte Robertson. Der Starjurist bezweifelte auch die formelle Gültigkeit des europäischen Haftbefehls, auf den sich das Auslieferungsbegehren stützt, weil keine Anklage besteht.

Unter englischen Juristen schlägt das Verfahren hohe Wellen, weil damit Vorbehalte gegen den EU-weiten Haftbefehl geschürt werden. Selbst Befürworter der Regelung wie die langjährige EU-Abgeordnete der liberaldemokratischen Regierungspartei, Sarah Ludford, kritisieren das Auslieferungsbegehren scharf: "Der europäische Haftbefehl sollte nicht dazu dienen, mal zu sehen, ob man jemanden anklagen will oder nicht."

Heute, Dienstag, soll der schwedische Ex-Oberstaatsanwalt Sven-Erik Alhem als Entlastungszeuge für Assange aussagen. Alhem hat das Vorgehen der schwedischen Justiz gegen Assange unter anderem deshalb kritisiert, weil die erste mit dem Fall befasste Staatsanwältin den Namen des Australiers an Medien weitergegeben hatte. Auch die völlig unterschiedliche Behandlung des Falles durch drei zuständige Staatsanwältinnen hält er für unangemessen.

Hunderttausende als Honorar

Zu den prominenten Unterstützern des Australiers gehörten am Montag neben seinem Gastgeber Vaughan Smith und der Menschenrechtsaktivistin Bianca Jagger auch der legendäre Labour-Linksaußen Tony Benn, 85.

Im Gerichtssaal gesichtet wurde auch der schottische Romanautor Andrew O'Hagan; dem Vernehmen nach agiert der Literat als Ko-Autor für Assanges Autobiografie, die im April auf den Markt kommen soll. Der Wikileaks-Boss hatte sich mehrfach über seine prekäre Finanzlage beklagt. Sein Buchhonorar wird auf mehrere hunderttausend Pfund geschätzt.

Assanges Verhältnis zu den Medien ist gespannt. Seine ursprünglichen Kooperationspartner - der Guardian, die New York Times (NYT), Le Monde und der Spiegel - haben sich von ihm distanziert und teilweise wenig schmeichelhafte Berichte über ihre Kontakte mit dem Australier gedruckt. Zum ersten Treffen mit der NYT sei Assange "in schmutzigem weißem Hemd und herunterhängenden Socken wie ein Landstreicher" erschienen, berichtet Chefredakteur Bill Keller. "Wir haben ihn nie als Partner betrachtet, sondern als schwer einzuschätzenden manipulativen Informanten."

Bis zur Gerichtsentscheidung können bis zu zehn Tage vergehen - bis zur endgültigen Entscheidung wegen möglicher Rechtsmittel Wochen oder gar Monate. (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 8.2.2011)