Ernst Wolner gilt als hervorragender Spezialist in der Herzchirurgie. Um so mehr verwundert es, dass er als Mitglied des Obersten Sanitätsrates und der Bioethikkommission einen Kommentar über neue Regeln am Lebensbeginn abgibt, der vor Gehässigkeiten, Vorurteilen und tendenziösen Halbwahrheiten nur so strotzt (Standard 29. 1. 2011, "Neue Regeln für das beginnende Leben"). Damit erweist er sich ganz und gar nicht als kluger Ratgeber.

Niemand bestreitet zum Beispiel, dass die Pränatalmedizin einen wichtigen Beitrag zum Wohlergehen von Mutter und Kind leistet, vor allem dann, wenn bei der vorgeburtlichen Diagnostik Fehlbildungen oder Krankheiten gefunden werden, die behandelbar sind. Ebenso unbestritten ist aber auch, dass diese Vorteile für wenige mit Nachteilen für sehr viele erkauft werden. Dazu gehört, dass viele Frauen die Pränataldiagnostik als störend für die Mutter-Kind-Beziehung empfinden und eine Medikalisierung der Schwangerschaft nicht zu leugnen ist. Ebenso zieht Pränataldiagnostik Selektion nach sich. Denn es gibt zahlreiche Bemühungen, möglichst früh in der Schwangerschaft Kinder mit Down-Syndrom zu "detektieren" - zu entdecken, um möglichst früh einen Abbruch zu ermöglichen.

Eine möglichst frühzeitige Beschäftigung mit Pränataldiagnostik ist auch Anliegen der Aktion Leben. In einer psychosozialen Beratungsstelle soll geklärt werden, ob sie für eine Frau, ein Paar das Mittel der eigenen Wahl ist. Neben ethischen Erwägungen spielen für die Entscheidung vor allem der Zugang der Frau zum eigenen Körper eine Rolle, ob sie auch ohne Technik ein Gefühl für ihr Kind aufbauen kann.

Wichtig ist zudem, die eigene Einstellung zum Thema Behinderung zu kennen, ob sie aus der Kenntnis von Menschen mit Behinderung stammt, ob Ängste den Wunsch nach Pränataldiagnostik bestimmen. Mitunter kann eine Untersuchung auch beruhigen.

Aber auch Druck ist spürbar und äußert sich in der Bemerkungen angesichts eines behinderten Kindes: "Ja, habt ihr das denn vorher nicht gewusst?" Die meisten Behinderungen entstehen jedoch während oder nach der Geburt.

Wolner geht davon aus, dass Kinder mit schweren (?) Fehlbildungen im Mutterleib getötet werden "müssen". Wir beraten viele Frauen und Paare rund um Pränataldiagnostik und begleiten auch bei den schwersten Entscheidungen. Bei genügend Unterstützung entscheiden sich Eltern immer wieder auch für ein behindertes Kind.

Hat das Kind eine Behinderung, mit der es nicht lange leben wird, sind Eltern sehr froh über Zeit zum Überlegen. Und manchen hilft die Information, dass sie ihr Kind auch sterben lassen dürfen. Dies passt nicht für alle betroffenen Eltern, die ein nicht lebensfähiges Kind erwarten. Aber das Sterbenlassen, Abschiednehmen-Können, Geschehenlassen ist für wesentlich mehr Paare eine Option, als Herr Wolner sich das offenbar vorstellen kann.

Es geht um Respekt für beide Möglichkeiten und eine gute Begleitung der Eltern, wie immer sie sich entscheiden. (Martina Kronthaler, DER STANDARD, Printausgabe, 7.2.2011)