Vor einem Jahr hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Paarlauf mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy erstmals das Wort "EU-Wirtschaftsregierung" in den Mund genommen. Eine "starke wirtschaftspolitische Koordinierung" der Staaten sei nötig, um Europa voranzubringen. Hintergrund war die anschwellende Eurokrise, ein hastig gebasteltes Notfallpaket für Griechenland. Auch wenn die EU-Spitzen in vielen Fragen völlig uneinig waren, dämmerte ihnen damals schon, was eine Währungsunion in letzter Konsequenz bedeutet: Wenn ein Mitgliedsland zusammenbricht, reißt es die anderen mit in den Abgrund. Denn die wirtschaftliche Verflechtung in der Union hat einen "point of no return" längst überschritten.

Das Ende des Euro wiederum könnte gleich die ganze EU zerreißen und das Projekt der Einigung Europas beenden.

Das fürchteten die EU-Regierungschefs, auch wenn sie es offen nicht sagen konnten. Da es also kein Zurück gibt, hat Europa nur eine Chance: Es muss offensiv werden, weitergehen. Dabei sollte es keine Tabus geben.

Deshalb wurde das Projekt einer Verschärfung des Euro-Stabilitätspaktes auf den Weg gebracht, eine stärkere Steuerung durch die EU-Kommission, die in nationale Irrwege eingreifen soll, oder auch eine neue EU-Finanzaufsicht. Um die "EU-Wirtschaftsregierung" war es jedoch ruhig geworden. Denn Paris und Berlin waren sich in einem entscheidenden Punkt uneinig: Sarkozy wollte die Integration notfalls mit den 17-Euro-Staaten allein vorantreiben. Merkel bremste, beharrte auf der Einheit der 27.

Das hat die deutsche Kanzlerin nun aufgegeben. Sie ist bereit, beim Konzept "Kerneuropa" der Euroländer mitzumachen. Ihr Preis: der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit. Es sollen, so gut es geht, deutsche Spielregeln gelten. Das bringt ihr innenpolitische Erleichterung. Sie kann sagen: Wir engagieren uns noch stärker, aber das ist gut investiertes Geld, weil damit der Wohlstand in Europa (also in Deutschland) steigt. Das Ganze ist nicht ohne Risiko. Es besteht die Gefahr, dass EU-Institutionen und EU-Vertrag umgangen werden, weil die beteiligten Staaten sich vieles untereinander ausmachen - ohne große parlamentarische Kontrolle. (Thomas Mayer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5./6.2.2011)