Es ist schon skurril: Noch vor einem Jahr hatte die SPÖ die allgemeine Wehrpflicht verteidigt und die ÖVP deren Abschaffung angedacht. Mittlerweile haben SPÖ und ÖVP die Positionen vertauscht - und die Roten treiben die Schwarzen in der Heeresdebatte vor sich her.

Die ÖVP ist ratlos. In den letzten Tagen ist die Erkenntnis gesickert, dass es der SPÖ gar nicht darum geht, gemeinsam ein Sicherheitskonzept zu erarbeiten. Die SPÖ ist schon viel weiter und hat sich längst festgelegt: Sie will die allgemeine Wehrpflicht abschaffen und strebt dazu eine Volksbefragung zu dem Thema an.

Wer holt die ÖVP ab und führt sie endlich in die Debatte hinein?

Das ständige Jammern, wonach man erst ein gemeinsames Sicherheitskonzept brauche, ist nichts anderes als der Offenbarungseid der Ratlosigkeit. Die Bedrohungslage ist klar, die Anforderungen an ein modernes Bundesheer sind es auch. Jetzt stellt sich die Frage, wie man das System umstellt. Die meisten anderen europäischen Staaten haben die Wehrpflicht bereits abgeschafft, teils mit erheblichen Problemen, das sei auch dazugesagt.

Diese Debatte ist zu führen. Und die SPÖ tut das längst. Verteidigungsminister Norbert Darabos hat sehr konkrete Modelle und sehr konkrete Berechnungen dazu vorgelegt. In der Sondersitzung des Nationalrats wurde darüber allerdings nicht diskutiert. Im Wesentlichen ging es darum, Darabos verbal zu diskreditieren, dem wollte und konnte sich auch der Koalitionspartner nicht entziehen.

Natürlich geht es auch der SPÖ nicht um die Sache. Kanzler Werner Faymann sucht hier ganz bewusst keine Gemeinsamkeit mit der ÖVP, und in seinem Auftrag macht der Verteidigungsminister Dampf: Die Strategen in Kanzleramt und Parteizentrale glauben, mit diesem Thema besonders die jungen Menschen, bei denen die SPÖ im Grunde genommen ja komplett abgemeldet ist, ansprechen zu können. Dieses Potenzial zu mobilisieren und damit weitere zwei oder drei Prozent zwischen sich und die nächststärksten Partei zu bringen, ist das kurzfristige Ziel der SPÖ.

Die SPÖ rechnet damit, eine allfällige Abstimmung gewinnen zu können, auch wenn es in Umfragen noch eine Mehrheit für die Wehrpflicht gibt. Die SPÖ baut darauf, dass die Gegner der Wehrpflicht leichter zu mobilisieren sind als die Befürworter. Und sie baut natürlich auf die Kronen Zeitung, die sie hinter sich weiß. Klingt wie eine sichere Bank.

Ganz ohne Risiko ist diese Strategie nicht. Sollte die SPÖ die Abstimmung über die Wehrpflicht wider Erwarten verlieren, wäre Kanzler Faymann derart beschädigt, dass er die Regierung kaum noch anführen könnte.

Umgekehrt schaut es nicht viel besser aus: Geht die Abstimmung gegen die Wehrpflicht aus, stünde die ÖVP und mit ihr Parteichef Josef Pröll als Verliererin da. Werner Faymann käme wahrscheinlich sein Koalitionspartner abhanden. Und dann? Wartet H.-C.

Auch in ihrem eigenen Interesse muss sich die ÖVP aus der Schreckensstarre lösen und inhaltlich die Debatte aufnehmen. Pröll droht aufgerieben zu werden, er muss überlegen, ob das Festhalten an der Wehrpflicht die einzige Antwort der ÖVP ist. Den Zorn auf Darabos zu fokussieren bedeutet nur, Faymann zu unterschätzen. Darabos ist nur der politische Handlanger, ein Ausführender. Für die Strategie dahinter steht Faymann.

Es kann sich nur um Wochen handeln, bis der ÖVP dieses Licht aufgeht. (Michael Völker, DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.2.2011)