"please leave quietly", eine Installation von Kay Walkowiak - Absolvent der Klasse von Erwin Wurm (li.) -, ein in zwölf Metern Höhe kopfüber hängender Hometrainer, symbolisiert für Josef Penninger, "was in der Wissenschaft passiert: Wir haben oft Ideen, die in den Himmel reichen, aber meistens sitzen wir auf dem Hometrainer im Keller, weil die meisten Ideen nie zu wirklichen Resultaten führen. Dann müssen wir wieder anfangen und weiterradeln."

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Standard: Herr Penninger, im Rahmen eines Wettbewerbs haben Kunststudierende der Angewandten Projekte zum Thema Genetik entworfen, vier wurden an Ihrem Institut realisiert. Wieso ist es Ihnen wichtig, Grundlagenforschung und Kunst zu konfrontieren?

Penninger: Gute Kunst und gute Grundlagenforschung sind eng verwandt. Man schafft neue Ideen. Gute Wissenschaft entsteht meist an tektonischen Platten, die aneinander reiben. Außerdem ist es immer wichtig, die Leute mit Kunst zu konfrontieren, dass sie stehenbleiben und nachdenken, was sie überhaupt machen.

Standard: Herr Wurm, Sie waren in der Jury, die die Kunstwerke auswählte. Wie schwer war es, die Studierenden mit Wissenschaft und dieser Thematik anzufreunden?

Wurm: Die waren ziemlich enthusiastisch, sonst wären auch nicht so gute Sachen herausgekommen. Gescheitert ist vieles an der Umsetzung oder aus monetären Gründen, weil sehr interessante, aber auch verrückte Ideen kamen. Aber ich finde es sehr gut, Wissenschaft und Kunst zusammenzubringen. Gute Kunst stellt Fragen, eröffnet neue Perspektiven und Sichtweisen.

Standard: Reden wir über Österreich und Politik: "Zur Lage der Nation". Was regt Sie da auf?

Wurm: Als Staatsbürger regt mich auf, was mit diesem Land passiert und wo es hingefahren wird. Wir stecken in einer Sackgasse, durch die Politik, aber auch eine Grundhaltung in diesem Land, die ich langsam überall und immer mehr erkenne. Ich habe mir als junger Mann immer gedacht: Korruption passiert in Bananenrepubliken, bis ich draufgekommen bin, es ist hier alles derartig verfilzt, dass einem schlecht werden könnte - durch die Bank, ob das jetzt die Eisenbahn ist, die Post, der ehemalige Finanzminister oder Parteienfinanzierung, es gibt einen wahnsinnigen Filz, Korruption, Gemauschel und Herumgetue, und es wird unglaublich gelogen. Das ist ohne ins Detail zu gehen der Grundhorror.

Penninger: Ich teile diesen Grundhorror. Ich habe mir mehr oder weniger alles selber erarbeitet, bin dann nach Amerika gegangen und war hier keinem was schuldig. Jetzt bin ich schon wieder ein paar Jahre zurück und finde es erstaunlich, dass die Leute nicht aufstehen und sagen, das lassen wir uns nicht mehr bieten, wie hier Jobs verteilt werden nach dem Prinzip: Der braucht auch was, also tu ich ihn in eine Managerposition, aber wenn der in der Partei ist, dann braucht der von der anderen auch was. Österreich ist meiner Meinung nach ein Ständestaat.

Wurm: Genau so ist es.

Penninger: Ein Ständestaat, der im Hinterzimmer verteilt wird. Das regt mich ehrlich auf. Darum mag ich Wissenschaft, weil sie ein gesellschaftspolitisches Element hat: Man lernt, kritische Fragen zu stellen. Das Wort "Warum" erlaubt es einem, nicht mehr alles zu akzeptieren.

Standard: Wieso steht niemand auf? Was ist los in diesem Land?

Wurm: Es gibt eine unglaubliche Reformresistenz. Das hängt wahrscheinlich zusammen mit einer Mentalität, die aus der Geschichte resultiert. 800 Jahre Monarchie haben den österreichischen Charakter geprägt, es ist noch immer ein relativ autoritärer Staat, ein Beamtenstaat mit monarchischen Konstruktionen. Man kam ja nie hinauf. Man konnte nie Fürst werden, wenn man ein Kleiner war. Anders als in Amerika, dort kann man soziale Schichten durchbrechen und aufsteigen. Und ich glaube, dass versucht wird, diesen Status quo durchzusetzen oder zu halten mit fast mafiosen Strukturen.

Penninger: Ein amerikanischer Freund hat mal gesagt, Österreich sei ein Hospiz. Die Leute wollen von Anfang an verpflegt werden und hoffen, dass sie möglichst schnell im Sanatorium enden, wo man ein gutes Leben hat. Diese Utopie, mit 20 zu hoffen, dass man mit 55 in Pension gehen kann - absoluter Wahnsinn. Man sollte sich endlich überlegen: Wo soll diese Gesellschaft in zehn, 15 Jahren stehen? Es gibt alttestamentarisches Geplänkel. Wenn du mir einen Zahn gibst, geb ich dir einen, und das so lang, bis alle zahnlos sind. Dabei muss doch allen klar sein, dass wir dorthin kommen müssen, dass jeder, der talentiert ist, eine Chance hat und nicht in ein soziales Getto abdriftet. Und seien wir ehrlich: Österreichs Zukunft wird auch abhängen von den Leuten, die reinkommen. Also brauchen wir eine offene Gesellschaft.

Standard: Sie sagten, angesichts der Unterdotierung von Bildung und Kultur "sollte man eigentlich auswandern". Wie erklären Sie sich, dass die deutsche Regierung in Bildung investiert, die österreichische aber sagt, wir kürzen überall, aber bei Bildung eh weniger?

Wurm: Das hängt sicher mit einer Feindlichkeit dem Geistigen, der Bildung gegenüber zusammen. Das ist in dem Land suspekt. In Österreich muss man ja weiter die Eisenbahner mit 52 Jahren in Pension schicken, oder die Postler. Das ist ja was ganz Wichtiges. Das brauchen ja alle, unbedingt. Wenn man es bei der Eisenbahn schafft, ein Jahr lang krank geschrieben zu werden, kann man überhaupt in Pension gehen, auch mit 33. Und das sind doch Säulen, die man erhalten muss. Darauf kann man ja aufbauen, oder?

Penninger: (lacht)

Wurm: Ja, wir lachen, aber so kommt's mir vor. Man kann es nur so zynisch sehen. Wenn ich mir ansehe, was im Schul- und Uni-Bereich passiert, das ist ja geradezu zum Heulen. Ich war Uni-Prof. und weiß, wie da gekürzt und gekürzt wird bei denen, die unterrichten. In Wahrheit werden die Leute ausgenommen vom Staat. Das ist keine Bezahlung. Da arbeiten Leute für 900 Euro im Monat. Abstrus.

Penninger: Die Regierung hat eine Riesenchance versäumt. Sie hätte sagen müssen: Wir pushen ein Gebiet, das wirklich wichtig ist fürs Land: Ausbildung, Unis, Wissenschaft, Innovation. Das hätten alle verstanden. Aber die Aufbruchstimmung, die vor sieben Jahren herrschte, ist verpufft. Damals war in Deutschland trübste Stimmung, jetzt höre ich nur positive Stimmung von Kollegen dort: Wir sind superglücklich. In Bonn entsteht ein Institut für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, die werden in den nächsten Jahren 1000 Neurobiologen anstellen, 65 Millionen Euro nur für das! Deutschland macht es absolut richtig. Da entsteht was.

Standard: Sie haben im Sommer 2010 nach acht Jahren als Professor an der Uni für angewandte Kunst den Professor an den Nagel gehängt. Flucht vor dem System?

Wurm: Meine Arbeit geht sehr, sehr gut, und ich hätte weniger Zeit gehabt für die Studenten. Ich wollte nicht einer der Professoren werden, die irgendwelche Faxe aus Neuseeland schicken, sondern einer, der wirklich jede Woche da ist, und das hätte ich nicht mehr leisten können, daher habe ich mich entschieden zu gehen. Es gibt noch eine Sache: Als Uni-Professor wird man in Österreich sehr schlecht bezahlt. Internationale Leute kommen für den Betrag keine. Da kriegt man nur Leute, die's brauchen, nicht die, die sagen, ich möchte was Tolles machen und den jungen Leuten helfen.

Standard: Sie haben den Luxus, dass Sie mit der universitären Lehre nicht behelligt werden. Froh?

Penninger: Das Schöne ist, wir sind eine GmbH, können also vernünftige Gehälter zahlen. Was Harvard oder Stanford für Professoren zahlen, ist absolut erstaunlich. Da ist Lehre ein richtiger Wert. Ich habe immer gern unterrichtet, so konnte ich die besten Studenten rekrutieren. Ich fliege auch jetzt noch einmal im Jahr nach Kanada und lehre. Wenn ich aber jede Woche zwei Tage unterrichten muss, ist das uninteressant, dann kann ich meine Forschung - oder auch Kunst - nicht machen.

Standard: Ich ernenne Sie jetzt kurzerhand zum Bundeskanzler der Republik Österreich - was würde Kanzler Wurm als Erstes tun?

Wurm: Als Erstes würde ich die Studienplätze freimachen für die österreichischen Studenten. Ich würde sagen, wir nehmen so viele auf, wie aus Österreich wollen, und dann kommen die Deutschen und die anderen dran.

Standard: Kanzler Penninger?

Penninger: Ich würde ins offene Labor unseres Instituts kommen, einen Tag lang pipettieren und meine DNA anschauen und sehen, dass die Menschen alle ziemlich ähnlich sind. So würde ich draufkommen, dass es wichtig ist, ein System zu entwickeln, das durchlässig ist, wo jeder eine Chance hat. Dann würde ich per Dekret sofort zwei Milliarden Euro in die Unis und in die Forschung pumpen und mich mit zehn Leuten, denen ich absolut vertraue und die nichts mit Politik zu tun haben, umgeben und beraten lassen, und wenn wir dann zu einer Idee gekommen sind, an die ich glaube, die auch umsetzen - und die Zwischenrufe von irgendwelchen Ständen wären mir dann vollkommen wurscht. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.2.2011)