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Das Original und die peinliche Fälschung durch die ägyptische Zeitung "Al-Ahram": Statt US-Präsident Barack Obama darf Mubarak den Friedensmarsch von König Abdullah von Jordanien, Palästinenserchef Mahmud Abbas und Israels Premier Benjamin Netanjahu (von rechts) anführen. Aber aus dem israelisch-palästinensischen Frieden ist ja einmal mehr wieder nichts geworden.

Montage: derStandard.at/Foto: AP/Pablo Martinez Monsivais

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Der Vizepräsident mit seinem Präsidenten: Hosni Mubarak (links) mit dem 1981 ermordeten Anwar al-Sadat. Dieser leitete die große politische Umorientierung Ägyptens in den Westen ein, deren Folge auch die Unterzeichnung des Friedensvertrags mit Israel war.

Foto: epa/FAROUK IBRAHIM

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Sadat, US-Präsident Jimmy Carter und Israels Premier Menachem Begin.

Foto: AP/Bob Daugherty

"Die einfachen Leute haben den Eindruck, wir würden die Wahlen fälschen. Nichts dergleichen. Alles, was wir tun, ist, die Seelenlage des ägyptischen Volkes genauest zu studieren. Gott hat die Ägypter regierungstreu geschaffen. Kein Ägypter kann sich seiner Regierung widersetzen. Es gibt Völker, die ständig aufbegehren und rebellieren. Die Ägypter dagegen blicken ihr ganzes Leben lang vor sich hin, damit sie ihr täglich Brot essen können. Das kann man in der Geschichte nachlesen. Sie sind das am leichtesten regierbare Volk auf Erden. Sobald du die Zügel in die Hand nimmst, fügen sie sich willig, und du kannst mit ihnen nach Belieben verfahren. Egal welche Partei in Ägypten Wahlen durchführt - solange sie an der Macht ist, wird sie gewinnen, denn der Ägypter muss die Regierung bestätigen. So hat Gott ihn geschaffen."

Der das sagt, muss es wissen, es ist Kamal al-Fuli, Sekretär der National-Demokratischen Partei, in Alaa al-Aswanis Der Jakubijan-Bau. Aswani, der Erfolgsautor und Zahnarzt, war vom ersten Moment an dabei auf dem Tahrir-Platz gegen das Regime. Anwaltssohn, dreier europäischer Sprachen mächtig, liberal, säkular, modern mit einem Wort. Die westliche Annahme, dass Demokratie eine Art kulturelles Merkmal sei, nennt er "rassistisch" . Aswani ist der ägyptische Demonstrant, wie wir ihn gerne hätten, nicht wahr? Und er ist ein wütender Feind der US-Politik in Nahost. Um das auch gleich einmal klarzustellen und etwaige Illusionen zu zerstören.

Seine Romanfigur al-Fuli verkauft Parlamentssitze - und gerade die Parlamentswahlen im November 2010 trugen entscheidend dazu bei, dass das bereits volle ägyptische Fass überlief. Das war eine Farce, die nichts mehr mit, euphemistisch gesagt, "kontrollierten" Wahlen zu tun hatte, wie man sie aus jenem Teil der Welt nur zu gut kennt. Die Wahlfälscher der NDP waren außer Rand und Band geraten. Psychologisch könnte man aber die Diagnose wagen, dass das nicht so sehr aus Übermut geschah als aus Angst: Der Alte wird bald gehen, und wir bleiben da. Was nach ihm, Hosni Mubarak, kommt, sollte niemandem anderen überlassen werden, das wollte sich die Regimepartei unter sich ausmachen.

Es begann in Zentraltunesien

Und dann verbrannte sich in einer Stadt in Zentraltunesien ein junger Mann - und plötzlich sind die Worte al-Fulis obsolet, die braven Ägypter rebellieren. Ob es eine urban legend ist, dass sich der junge Tunesier nicht aus sozialen und politischen Gründen anzündete, sondern aus Liebeskummer, ist für das Resultat hinfällig, hat aber einigen anekdotischen Wert. Jedenfalls wurde ein im Westen beliebter Mafiaboss vom Präsidentensessel gestürzt, und in Ägypten, das mit Tunesien genau genommen nicht einmal das System gemeinsam hatte, nur die Sprache und viele junge, frustrierte Menschen, begann die Revolution.

Was Tunesien und Ägypten und andere Länder in der Region jedoch gemeinsam haben, ist die Frage der Legitimität der Regierenden. Wer keine Legitimität hat, verliert früher oder später die Autorität und muss sich auf die Gewalt stützen. Nicht umsonst tragen manche Anti-Mubarak-Demonstranten nicht nur in Ägypten, sondern auch an anderen Orten der arabischen Welt die Bilder von Gamal Abdul Nasser, dem zweiten Präsidenten Ägyptens (der erste, Muhammad Naguib, überdauerte nicht lange), mit sich. Dabei kam Nasser genau aus demselben Dunstkreis wie heute Mubarak, aus dem Militär, autoritär und undemokratisch bis in jede Faser seines Körpers?

Abgesehen von jenen Demonstranten, die an Nassers arabischen Sozialismus - im Gegensatz zum westlichen Kapitalismus, der ja auch längst in der arabischen Welt Einzug gehalten hat - erinnern wollen: Bei Nasser war nicht nur die Legitimation als Revolutionär und Kriegsherr gegen Israel und sogar gegen Frankreich und Großbritannien und als arabischer Nationalist noch intakt. Er war derjenige, der sich in Ägypten selbst durch die Landreform eine breite ländliche Anhängerschaft und durch die staatlich gelenkte Industrialisierung eine loyale Arbeiterklasse in den Städten geschaffen hatte. Und was hat Mubarak geschaffen außer mehr Reichtum für die Reichen? Hatten die Armen etwas vom tiefgreifenden politischen Orientierungswechsel, der freilich schon unter Sadat begann? Von der wirtschaftlichen Öffnung der letzten Jahre? Davon, dass Ägypten beim Westen gut angeschrieben und Teil der Pax Americana war?

"Der Nasseristische Staat" , schreibt Juan Cole, Historiker an der Universität Michigan, "hatte Legitimität, weil er als Staat für die Masse der Ägypter angesehen wurde, im Ausland und im Inland. Das gegenwärtige Regime wird in Ägypten weithin als ein Staat für die anderen gesehen - für die USA, Israel, Frankreich, Großbritannien - und ein Staat für die wenigen - die neoliberalen Neureichen." Cole sagt auch, dass der Islam in dieser Analyse deshalb keine Rolle spielt, weil er keine "unabhängige Variable" sei. Die islamischen Bewegungen füllen die Lücken, die der Staat, der sich um seine Bürger nicht kümmert, hinterlässt. Die Islamisten seien ein Symptom, nicht die Ursache, sagt Cole.

Fairerweise muss man daran erinnern, dass alles, was in Ägypten gegen die Armut helfen sollte, von der Demografie aufgefressen wird: Wenn es gleich viel Wirtschafts- wie Bevölkerungswachstum gibt, ergibt das eine Null. Theoretisch. Denn wenn gleichzeitig die Reichen reicher werden, dann bleiben die Armen nicht gleich arm, sondern werden ärmer.

Aber keinen Moment sollte hier so getan werden, als handle es sich bei dem, was wir in der arabischen Welt heute sehen, um eine reine Unterschichtenrevolte. Keine Frage, dass die Weltfinanzkrise und ihre Folgen, die Lebensmittelkrise, die niedrigen Ölpreise die ärmeren Länder und Gesellschaften (auch) im Nahen Osten schwer getroffen haben. Auch in Tunesien mit seinem vergleichsweise höheren Lebensstandard einer viel breiteren Mittelschicht als in Ägypten mag es so gewesen sein, dass durch die Krise weniger Menschen vom System Ben Ali profitieren konnten. Auch die Regime-Klienten waren eben nicht mehr so zufrieden wie früher. Aber es ist doch vor allem eine gesellschaftliche und politische Revolte, die alle Schichten und Generationen erfasst, ein "1968 der arabischen Welt" , wer auch immer zum ersten Mal diesen Vergleich gezogen hat, und ein "arabisches 1989" auch gleich dazu, wenigstens in der Ambition der Beteiligten und vieler Beobachter.

Unzweifelhaft ist es das Ende einer Epoche, in der die Selbstsicht der Herrschenden als "Hüter der arabischen Geschichte" noch gekauft wurde. Nun reicht es nicht mehr als Legitimation zum Herrschen, gegen Israel gekämpft zu haben oder Erbe irgendeiner Revolution zu sein. Typischerweise hat Mubarak in der Rede, in der er seinen Rückzug im Herbst ankündigte, auf seine eigenen Verdienste in der Geschichte verwiesen: dass er "für dieses Land gekämpft" habe. Nur einem, dessen historische Kämpfe nicht mehr relevant sind, der persönlich an Bedeutung verloren hat - und mit ihm ganz Ägypten -, kann passieren, was Mubarak vonseiten der Speichellecker von Al-Ahram widerfahren ist: die Fotomontage, die den ägyptischen Präsident von hinten nach vorn, vor US-Präsident Barack Obama an die Spitze der Weltpolitik kleisterte (siehe vorn). Das Foto zeigt das ganze Elend eines erstarrten Regimes, dem sich die politische Moderne, aber auch nicht das Zeitalter der modernen Kommunikation, in dem so ein Schwindel auch im ägyptischen Dorf auffliegt, nie und nimmer erschließen wird.

Wer ist der Nächste?

Seit dem ersten Tag, an dem Demonstranten mit dem Wort "Tunesien" auf den Lippen in anderen arabischen Ländern auf die Straße gingen, steht die Frage im Raum, wer als Nächstes drankommt. War der Sturz von Zine El Abidine Ben Ali ein Ereignis, das vor allem die Tunesier selbst betrifft, so würde ein politischer Systemwechsel in Ägypten - das heißt, nicht nur Mubaraks Abgang, sondern der des gesamten Regimes - die Region in ihren Grundfesten erschüttern. Ägypten ist nicht Tunesien, und das stimmt auch noch, wenn die Revolutionen in beiden Ländern ähnlich verlaufen sollten.

Und wenn sie alle von außen noch so ähnlich aussehen, als wäre ihr einziges Unterscheidungsmerkmal, ob sie einen Präsidenten oder einen König haben, so sind diese Länder doch grundverschieden. Jedes ist auf seine ganz eigene Art krank und unglücklich, könnte man Tolstois Worte über die Familie abwandeln. Natürlich spielt der Reichtum eine Rolle - dass die einen Öl und die anderen keines oder fast keines haben, was auch, wie Gallup-Umfragen zeigen, einen großen Einfluss auf das Lebensgefühl hat. So wollen etwa bis zu 45 Prozent der jungen Jemeniten emigrieren, aber nur fünf Prozent der Jugend in den Golfstaaten.

Proteste müssen auch nicht überall das Gleiche heißen: In Algerien etwa, mit seinem subtileren Autoritarismus ist es gang und gäbe, auf die Straße zu gehen und zu verlangen, was man vom Staat an Leistungen haben will. Die Zeitung El Watan zählte im Jahr 2010 ganze 76 Demonstrationen. Selten werden diese Proteste aber mit politischen Forderungen verbunden. Deshalb tat sich Präsident Abdelaziz Bouteflika - auch so ein kranker Dinosaurier-Präsident, der die Verfassung ändern ließ, um im Amt sterben zu können - auch leichter, die Forderungen der Demonstranten zu erfüllen, à la "Dann werden wir den Zucker eben wieder billiger machen" . Sicher haben die Algerier auch deshalb weniger Lust auf Umsturz, weil ihr Bürgerkrieg mit 200.000 Toten erst eineinhalb Jahrzehnte zurückliegt.

Beim Nachbar Libyen ist noch immer derjenige an der Macht, der die Revolution 1969 selbst angeführt hat: Das macht Muammar al-Gaddafi zum längstdienenden Staatschef in der arabischen Welt. Auch in Libyen gab es im Jänner Demonstrationen, und um in diesem äußerst repressiven Staat auf die Straße zu gehen, braucht es schon einige Wut und Courage. Die Jugend leidet, wie in den anderen Ländern der Region auch, unter Perspektivlosigkeit, aber der Ölreichtum - bei einer kleinen Bevölkerung - erlaubt es Gaddafi andererseits, schnell genügend Geld in die Hand zu nehmen, um die Loyalität der Eliten sicherzustellen. Auch das starke konservative Stammessystem ist hilfreich, da kauft man mit dem Chef gleich die ganze Gemeinschaft mit.

Gaddafi hat noch einen Vorteil, den er auch mit Syriens Präsidenten Bashar al-Assad teilt: Ihre Widerständigkeit gegen die US-Politik in der Region - die ja bei Gaddafi in Wahrheit auch nur mehr Prätention ist - verleiht ihnen eine gewisse Popularität und Legitimität. Kein Zeifel: Mubaraks Regime, aber auch jene Jordaniens und Saudi-Arabiens sind durch das Ausbleiben eines israelisch-palästinensischen Friedens - wofür alle in der Region Israel die Schuld geben - schwerstens beschädigt. Nicht umsonst kommt die Fotomanipulation Al-Ahrams aus diesem Kontext - Mubarak sollte eben auch einmal profitieren, wenn es good news gibt. Geworden ist aus dem Friedensprozess dann ohnehin wieder nichts.

Würde und Gerechtigkeit

Die Demonstranten in Ägypten sind selbstverständlich nicht deshalb auf der Straße. Aber die Verachtung für ihre Regime - im Gegensatz zur "Würde" , die man einfordert - rührt bei vielen, besonders der mittleren Generation, auch von der Nibelungentreue her, in der diese Regime als Verbündete der USA ausharren, die soeben einmal mehr die Erwartungen enttäuscht haben, für "Gerechtigkeit" zu sorgen und den Palästinensern einen Staat zu verschaffen. Israel bangt jetzt um den Verlust des verlässlichen Partners Mubarak - hat aber nichts getan, um ihm zu helfen, im Gegenteil, es hat ihn noch zum Polizisten an der südlichen Grenze des Gazastreifens degradiert.

Aber zurück zu Syrien, wo auch bei scharfen Kritikern des Regimes reflexartig die Erinnerung an die Muslimbrüderschaft-Aktivitäten - inklusive Terrorismus - vor vierzig Jahren hochkommt, die Hafiz al-Assad mit der Bombardierung von Hama im Jahr 1982 grausamst niederschlug. Zudem ist die syrische Gesellschaft ethnisch und konfessionell vielfältig, und was in einem Moment ein Reichtum ist, kann im Moment des Machtvakuums zur Fragmentierung werden, die in den Bürgerkrieg führt. Die Syrer wissen das: Sie haben die Geschicke zuerst des Libanon und später des Irak aus der ersten Reihe miterlebt. Die Bürgerkriegsgefahr nach einem Umsturz ist auch im von vielen inneren Konflikten zerrissenen, armen Jemen gegeben.

Gleich wie dem Jemeniten Ali Abdullah Saleh - seit 32 Jahren Präsident - und seinem Clan wird auch den Gaddafis, den Assads, den Mubaraks vorgeworfen, sich die lukrativsten Nischen der eigenen Ökonomien zu sichern. Andererseits entstanden in mehreren Ländern durch die Wirtschaftsöffnungen zuletzt auch neue moderne Unternehmerschichten, die nicht einfach nur als Teilhaber der korrupten Systeme zu sehen sind.

Bleiben die arabischen Könige: Ja, sie tun sich leichter, obwohl die dynastische Verankerung der Legitimität besonders im erst im 20. Jahrhundert entstandenen Jordanien nicht in Stein gemeißelt scheint. Alle haben jedoch den Bonus einer religiösen Komponente, die ihnen - noch - Respekt verschafft: Marokkos König trägt den Titel "Emir der Gläubigen" , der saudiarabische ist der Hüter der Heiligen Stätten (darüber hinaus ist in Saudi-Arabien Staat und Familie historisch eins), aber auch Abdullah II. in Jordanien kann auf seine Herkunft aus der Familie des Propheten und auf die jahrhundertelange Herrschaft der Haschemiten in Mekka verweisen.

Die Könige von Jordanien und Marokko haben weiters den Vorteil, dass sie selbst schon Teil eines Generationenwechsels und dadurch den Jungen näher sind. Mohammed VI. werden von fortschrittlichen Kräften nicht nur Reformen (Stichwort Frauen) zugutegehalten - die ihm andererseits bei Konservativen und Islamisten schaden. Und er ist mit einer vorsichtigen Vergangenheitsbewältigung des brutalen Regimes seines Vaters einen in dieser Weltgegend unerhörten Weg gegangen.

Abdullahs Dilemma

König Abdullah in Jordanien hat auf die fortdauernden Proteste im Königreich, bei denen jedoch nie sein Kopf gefordert wurde, diese Woche mit einem Regierungswechsel reagiert. Die Wahl des neuen Premiers zeigt jedoch das ganze Dilemma, in dem sich der König, der ja sein Land gerne modernisieren würde, befindet: Er musste sich, wie so oft, zwischen den beiden großen Sektoren der Gesellschaft entscheiden, den Palästinensern, die die Wirtschaft tragen, und den "echten" Jordaniern, das heißt, den Stämmen.

Wie auch bei den gelenkten Parlamentswahlen fiel seine Wahl auf die Stützen des Regimes. Der neue Premier Maruf Bakhit, ein früherer Geheimdienstler, steht für eine straffe Sicherheitsagenda, aber gewiss nicht für Reformen. Er ist eine Konzession an die Konservativen, denen gerade die Wirtschaftsreformen um ihre Pfründe bangen lassen. Die palästinensische dominierte Unternehmerschicht macht der König damit genauso wenig glücklich wie die urbanen Islamisten. Aber Jordanien soll eben jordanisch bleiben - nebenan wünscht sich die israelische Ultrarechte ja ein palästinensisches Jordanien, weil dann die Palästinenser keinen "zweiten" Staat mehr bräuchten. Jordanien hat alle arabischen Krankheiten - und noch ein paar Probleme dazu. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Album, 5.2.2011)