Susanna Wieseneder, Manfred Reichl, Regina Prehofer, Hannah Rieger, Günther Tengel: Ideale Fälle der Neuorientierung - und was tun die anderen? Wie Neues gelingen kann.

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Regina Prehofer (54) wechselt aus dem Bankenvorstand in den Bildungsbereich, wird Vizerektorin für Finanzen und Infrastruktur an der Wiener Wirtschafts-Uni. Manfred Reichl plante mit 50 seinen Ausstieg aus der Spitze des Beraters Roland Berger, vollzieht ihn mit 55 und ist nun Aufsichtsrat, managt seine acht Firmenbeteiligungen und vertritt die UBS-Investmentbank in Österreich. Hannah Rieger (53), Corporate-Communications-Verantwortliche der Investkredit, hat ein Exit-Angebot der Volksbanken angenommen, vertieft ihr mediatorisches Know-how und strukturiert ihre jahrzehntelange Kunstsammelleidenschaft (Art Brut) plus ihre Coaching-Ausbildung in ein Angebot als Nachhaltigkeitsberaterin.

Immer häufiger werden solche Spurwechsel in der Karriere sichtbar. Wir wissen es von Menschen, die vorher schon sehr gute Positionen innehatten. Ist Neuorientierung in der Lebensmitte also Elitenprogramm? Bleiben jene vielen, die sich auch in Richtung (neuer) Sinnstiftung verändern wollen, und alle jene, die Restrukturierungen zum Opfer gefallen sind, unsichtbar? Unzufrieden? Länger "arbeitslos"?

Finanzielle Sicherheiten

Die Runde bejaht ihre privilegierte Position, aufgrund erworbener finanzieller Sicherheiten Zeit gehabt zu haben, sich neue Wege gut zu überlegen und nicht auf jedes andere Angebot im Zuschnapp-Modus reagiert haben zu müssen. Susanna Wieseneder, selbst aus der Leitung der Corporate Communications der Post AG vor acht Jahren in die Selbstständigkeit als Beraterin gewechselt, hat den neuen Trend in ihrem Buch Karriere nach der Karriere (Orell Füssli Verlag) eingefangen und untersucht: "Es ist ein Elitenprogramm, das sichtbar ist aufgrund finanzieller Sicherheiten. Aber: Die Generation der Babyboomer ist in die Midcareer gekommen und fragt sich, ob es das schon war. Die Veränderungsfreudigkeit nimmt zu, auch durch Sinnkrisen, auch durch Lernzeiten, etwa Sabbaticals oder Weiterbildungen." Und: Aus den oberen Ebenen sickert diese Veränderungsfreudigkeit "hinunter".

Da bekanntlich auch führende Positionen noch nie so unsicher waren und Strategiewechsel derzeit sehr rasch geschehen, kommen auch immer mehr Menschen unvorbereitet in die Situation, sich mit 45+ verändern zu müssen. Angesichts des noch immer vorherrschenden Jugenddogmas in sehr vielen Unternehmen ein oft schwieriges Unterfangen, wie Günther Tengel, Inhaber des Executive-Search-Unternehmens Amrop Jenewein, berichtet. Er sehe am häufigsten "nicht proaktiv und in dieser hier versammelten idealen Form" herbeigeführte Brüche. Hört man ihm zu, so drängt sich zudem fast der Eindruck einer Fluchtbewegung aus der Konzernwelt auf, da der Wunsch "raus aus der Matrix-Organisation" und "lieber rein in ein eigentümergeführtes KMU" so oft geäußert werde, wie Tengel sagt. Er gibt zu bedenken, dass sich viele in den höheren Konzernebenen zudem ein Leben geschaffen hätten, in dem - vom Kredit bis zum ausschließlich jobbezogenen Freundeskreis - die Bahnen oft sehr eng seien. Was er bemerkt: Unternehmen kämen zunehmend in das Problem mangelnden Commitments der Führungsriege.

"Auf emotionaler Ebene", so Wieseneder aus ihrer Beratungstätigkeit, könne man durchaus von einer "Fluchtwelle" aus der Konzernwelt sprechen.

Zeit als wichtigste Ressource

Zurück zur Runde der "idealen" Umstiege: Die wichtigste Ressource für Regina Prehofer war Zeit. "Ich habe mir Zeit gegeben, mich zu entscheiden. Sobald der Ausstiegszeitpunkt aus dem Bawag-P.S.K-Vorstand fixiert war, habe ich ein paar Monate Auszeit eingeplant und auch immer auf Fragen und Angebote gesagt, ich wisse es noch nicht." Prehofer bezeichnet Neugier als wesentliche Triebfeder, sie hatte Raum und Zeit für soziale Kontakte, Ruhe, mit Menschen aus verschiedensten Bereichen wirklich zu sprechen. So kristallisierte sich die Entscheidung für die künftige Tätigkeit im Hochschulbereich heraus. Natürlich verdiene sie nun weniger, aber auf die finanziell komfortable Ausgangsbasis hatte sie ja schon verwiesen. Die Option, ganz "auszusteigen", sei nie eine gewesen: "Ich wollte arbeiten, aber nicht mehr jede Woche 80 Stunden."

Für Hannah Rieger hat sich in begleitenden Reflexionsphasen herauskristallisiert, sie wolle "Sinnstiftendes in die Welt bringen - ich hatte schon lange die Vision, etwas mit Kunst zu machen". Das war nicht ganz neu, die Themen, die sich jetzt zu etwas Neuem zusammenfügen, haben sie schon Jahre begleitet, etwa als sie die Kunstsammlung der Investkredit betreute. Zudem besetzt sie ein Mandat als Uni-Rätin an der Angewandten. An ihrem Beratungsstandbein in Coaching und Supervision arbeitet sie seit 1994, praktiziert darin auch seit Jahren.

Ob trotz guter Ausgangsbasis Ängste hochkommen? "Ja, natürlich", sagt sie, "zuerst einmal die Grundangst, ob es gelingen kann und wird." Und ja, es sei gewöhnungsbedürftig, gefragt zu werden, was man beruflich mache, und nichts fix Bekanntes als Antwort bieten zu können, lediglich einen Punkt im Entwicklungsprozess.

Dieses Thema habe er nach seinem geplanten Ausscheiden übergangsweise auch gehabt, so Manfred Reichl. Aber sein Plan sei klar gewesen und seine Motive stark: "Es ist peinlich, wenn Menschen noch in einer Position sind, wo andere schon meinen, sie gehörten dort nicht mehr hin. Und: Ich habe gesehen, dass diejenigen 70-Jährigen am glücklichsten und fittesten sind, die noch arbeiten." Er fügt an: "Die Zwangspension mit 65 halte ich für total falsch."

Alle drei bestätigen: Wenn man in der Lage ist, seinen Wechsel aktiv zu kommunizieren, dann kommen sehr schnell von allen Seiten Angebote, Anrufe. Wenn man seine Kontakte auch außerhalb des beruflichen Kreises gepflegt habe, dann sei man gut und breit aufgestellt.

Rechnung für viele Jahre

Für Regina Prehofer ein Zeichen, ob man während der vielen Jahre in Top-Position verlernt hat, Person und Funktion zu trennen, oder ob man echte Freunde und Berufskontakte richtig einordnen konnte. Reichl: "Wenn man sich vor dem Wechsel einen gewissen Ruf erworben hat, dann klappt es gut."

Es spiele aber immer auch die engere Beziehungsebene hinein, sagt Wieseneder. Oft sei es auch schwer, dem Beziehungspartner zu kommunizieren, warum man sich aktiv für eine Neuorientierung entscheide. Wie das in jenen Konstruktionen aussieht, in denen Unfreiwilligkeit der Beginn einer Veränderung ist, können sich alle gut vorstellen - oder sie kennen diese Situationen aus dem Bekanntenkreis.

Es sei immer noch ein Tabu, älter zu sein und plötzlich einen angesehenen Job zu beenden oder aus einem Unternehmen hinausrationalisiert zu werden. Dass 50+ schwer zu besetzen sei, sagt auch Günther Tengel. Aber: Diese Neuorientierungen als "Brüche" zu erleben, so Wieseneder, sei wohl ein Symptom "unserer Generation. Wir plagen uns damit noch, weil wir keine Set-ups haben" - für die folgenden Generationen werde das zur Normalität.

Was sind die Faktoren für gelingende Übergänge, für fruchtbare Neuorientierung?

Emotionale Zugehörigkeit und ein intaktes emotionales Zuhause werden genannt. Günther Tengel ergänzt: "Sparringpartner" auf fachlicher Ebene. Auf seine Vernetzung und auf die auch menschlich breite Aufstellung legt Prehofer viel Wert als "Ingredienzen". Wichtig sei es, zu lernen und zu üben, sich nicht ausschließlich über die Arbeit zu definieren. Eine gute Voraussetzung sei, "eine eigene Marke zu sein", sagt Tengel, so gut es geht den Druck wegzunehmen, ad hoc zu reagieren und neu agieren zu müssen. Hannah Rieger ergänzt für die Übergangsphase: sich immer an seine eigenen Themen zu erinnern und nicht in den Modus zu verfallen, den Verführungen der nächstliegenden Umwelt nachzugeben. Susanna Wieseneder bietet dafür als erleichterndes Momentum an: "Es geht vielen so, man ist nicht allein - auch wenn das nicht zu einem neuen Job führt, es führt zu einer Einstellungsveränderung, oft zu einer Öffnung und einer angstfreieren aktiven Auseinandersetzung mit Neuorientierung." (Karin Bauer/DER STANDARD; Printausgabe, 5./6.2.2011)