London/Liverpool - An der Merseyside brennen die alten Trikots mit der Nummer neun seit Tagen, an der Stamford Bridge werden die neuen am Sonntag der Verkaufsschlager sein. Im Merchandising-Tempel des FC Chelsea pflegt es vor den Heimpartien der Londoner immer hoch herzugehen, doch der Erwerb von Fernando Torres vom FC Liverpool befeuert das Geschäft zusätzlich. Am Sonntag gibt El Niño, wie der 26-Jährige Madrider ob seines Aussehens genannt wird, sein Debüt für Chelsea - ausgerechnet gegen seinen Ex-Klub Liverpool. "Schicksal", nennt das Torres, und geht es nach ihm, dann ist es vor allem ein trauriges Schicksal für den Rekordmeister: "Ich werde alles dafür tun, um ein Tor zu machen."

81 Treffer in 142 Pflichtspielen hat Torres innert vier Saisonen für Liverpool erzielt. Es hätten mehr sein können, vor allem gegen Ende seines Engagements bei den Reds kamen immer wieder Verletzungen dazwischen. Begonnen hatte die Partnerschaft rasant. 24 Treffer in der ersten Saison bedeuteten neuen Rekord für die Premier League, 23-mal hatte der Niederländer Ruud van Nistelrooy in seiner Debütsaison bei Manchester United (2001/02) getroffen. 50 Torres-Treffer in den ersten 72 Ligaspielen sind in Liverpool Klubrekord. Kein Wunder, dass Torres an der Anfield Road geliebt wurde, jener Torres, der Spanien am 29. Juni 2008 im Finale zu Wien gegen Deutschland zum EM-Titel schoss.

Die Enttäuschung über seinen Abgang um die innerenglische Rekordtransfersumme von 59 Millionen Euro ist nun umso größer, als der FC Liverpool gerade erst begonnen hat, seine existenzbedrohende sportliche Krise zu bewältigen. Statt an der Wende zum Besseren mitzuwirken, habe er sich wie ein Söldner verhalten, der nur auf eine Gehaltserhöhung aus gewesen sei, wetterte Liverpool-Legende John Aldridge in der Daily Mail. "Er hat allen Fans, die ihn angehimmelt haben, mitten ins Gesicht gespuckt", sagte der mittlerweile 52-jährige Ire, der als treffsicherer Stürmer am Meistertitel 1988 und am FA-Cup-Sieg 1989 mitwirkte. "Der Zeitpunkt seines Wechsels war schrecklich, aber vielleicht sind wir ohne ihn besser dran."

Gut möglich, dass Coach Kenny Dalglish trotz gegenteiliger Beteuerungen ("Natürlich bin ich enttäuscht über seinen Wechsel") ebenso denkt. Von der spanischen Ära seines Vorvorgängers Rafael Benítez ist in Goalie Pepe Reina nur noch ein Spieler im Kader der Ersten übrig. Und in Luis Suárez ist schon der nächste potenzielle Publikumsliebling an Bord. Der 24-jährige Teamstürmer aus Uruguay, um 26,5 Millionen von Ajax Amsterdam geholt, hat sich mit einem Tor beim jüngsten 2:0 über Stoke City, dem dritten Sieg en suite, schon gut eingeführt. Suárez' geplanter Sturmpartner Andy Carroll von Newcastle, den sich Liverpool mehr als 41 Millionen Euro kosten ließ, muss wegen einer Oberschenkelverletzung noch wochenlang pausieren.

Torres mangelt es am Sonntag nicht an prominenten Helfern. Chelseas Coach Carlo Ancelotti ist gewillt, sein System zu adaptieren und neben Torres auch Didier Drogba und Nicolas Anelka angreifen zu lassen. Dass es für Chelsea gegen Liverpool kein Honiglecken wird, weiß niemand besser als Torres selbst. Sieben Tore in acht Duellen mit den Londonern hat er geschossen, zuletzt eines beim 2:0 im vergangenen November an der Anfield Road. "In diesem Spiel waren wir immer besonders motiviert. Und ich habe mehr getroffen, als gut für Chelsea war", erinnert sich Torres. Diese Gefahr hat der Mäzen der Blues, Roman Abramowitsch, gebannt. (lü, DER STANDARD Printausgabe, 5./6. Februar 2011)