Hat Karl-Heinz Grasser mit der Erfindung des Nulldefizits schon einmal über die Grenzen der Volkspartei hinaus mindestens drei Millionen Österreicherinnen und Österreicher von seinem Innovationsgenie überzeugt, so legte er diese Woche im Fernsehen neuerlich eine Probe seiner diesbezüglichen Talente ab. Mit der öffentlichen Verlesung eines Fanpoststücks, in dem er sich nur recht und billig als Folie einer "abscheulichen Neidgesellschaft" charakterisiert fand, hat er einen bemerkenswerten Beitrag zur Hebung der Briefkultur im öffentlichen Raum und in einer Zeit geleistet, in der Informationspflicht zum Talk und menschliche Kommunikation zum Twittern verkommt.

Es ist nun einmal sein Kreuz, dass er für das mittelbare Eigenlob, das er sich mit der Verlesung spendete, nicht nur Zustimmung, sondern auch einiges an Hohn von jener Seite erntete, die nicht zur Kenntnis nehmen will, welche Extraportion an antiker Tragik ihn neben den Vorwürfen von Amtsmissbrauch und Steuerhinterziehung umwittert, wenn er von sich lesen muss: "So viel Glück darf ein einzelner Mensch nicht haben." Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Irdischen zuteil - mindestens ein Schiller, wenn nicht ein Sophokles müsste her, solchem Schicksal den passenden Rahmen zu verleihen. Doch was hat Österreich zu bieten? Die Krone und den Falter.

Und Neider, die oft selber leidenschaftlich mit der Neidgesellschaft abrechnen, wenn es nur um eine Vermögensbesteuerung geht. Oft auch noch solche, die Grasser in dem ästhetischen Punkt, aus dem heraus seine tragische Existenz ihren Ausgang nahm, nicht das Wasser reichen können. Wer hat an ihnen schon bemerkt, sie wären "zu schön" - was in seinem Fall einst einen Kärntner Adler bewogen hat, sich diesen Ganymed als stellvertretenden Landeshauptmann zu krallen, womit das Nulldefizit gebongt war.

Doch von Grasser lernen heißt nicht nur, in Liechtenstein stiften zu lernen. Mit seiner Geschäftsidee, Erhellungsversuche an seinem Treiben durch öffentliche Lektüre der Lobeshymnen schönheitstrunkener AnhängerInnen abprallen zu lassen, hat er in einer Situation, in der vor Plakatwänden und hinter Stehpulten schwadronierende Politiker die Konsumenten nur noch nerven, einen revolutionären Weg der Aufmerksamkeitsgewinnung gewiesen.

Der bloße Gedanke nötigt einem Tränen ab, wie etwa Maria Fekter, hart bedrängt mit Fragen zur Österreich-Card, einen Brief aus dem Kosovo hervorzieht, in dem albanische Flüchtlinge von dem Trost berichten, den ihnen die warme Stimme der Innenministerin bereitet hat, als sie sie via Radio von der Ungesetzlichkeit ihrer Existenz in Österreich und ihrer Abschiebung in Kenntnis setzte. Aufwühlend auch die Vorstellung, wie Bundeskanzler Faymann nach dem Ministerrat den Brief eines gewissen Claus P. schwenkt, der ihn aus persönlicher Kenntnis seiner Schönheit auch noch dafür rühmt, sich nie und nimmer dem Druck des Boulevards zu unterwerfen.

Die Idee Grassers ist ausbaubar. Fehlt nur noch ein Briefsteller, und jeder Politiker könnte beliebt sein wie er. (Günter Traxler, DER STANDARD, Printausgabe, 4.2.2011)