Wasserfloh mit charakteristischem schwarzem Komplexauge. Sex haben die Tiere nur, wenn Umweltbedingungen schlecht sind. Das macht sie für die Forschung so interessant.

Foto: Christian LaForsch, LMU Munich

Diese Falschfarben-Konfokalmikroskop-Aufnahme zeigt eine Bauchansicht auf einen Wasserfloh.

Foto: Jan Michels, Functional Morphology and Biomechanics, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Seitenansicht eines Wasserflohs.

Foto: Science/AAAS

Washington - Sie werden zwar als "Wasserflöhe" bezeichnet. Doch eigentlich sind die ein bis fünf Millimeter langen Tierchen eine Gattung der Krebstiere. Süßwasserflöhe (Daphnia pulex) bilden einen wesentlichen Bestandteil der Nahrungskette in Wasserökosystemen, sprich: Sie kommen - auch bei Aquarienbesitzern - gern als Fischfutter zum Einsatz.

Die Tiere wurden in den letzten Jahren aber auch von der Wissenschaft und dabei insbesondere von den Ökologen "entdeckt". Daphien sind sehr empfindlich gegenüber Umweltveränderungen, was bis in ihr Sexualleben reicht: Normalerweise vermehren sie sich ungeschlechtlich, indem aus bis zu 70 Jungferneiern der Weibchen wieder Weibchen schlüpfen. Sind die Umweltbedingungen schlecht, stellen sie auf Sex um.

Dieser besonderen ökologischen Empfindlichkeit wollte der US-Forscher John Colbourne (Indiana University) auf den genetischen Grund gehen, weshalb er das Daphnia-Genom-Konsortium gründete. Und das legte nun im Fachjournal Science (Bd. 331, S. 555) seinen überraschenden Endbericht über das "öko-responsive" Erbgut der Krebstiere vor.

Das Team von insgesamt 450 Forschern (darunter Daniel Gerlach, der zurzeit am IMP in Wien arbeitet) fand im Erbgut der Tierchen zumindest 30.907 Gene. Zum Vergleich: Der Mensch besitzt nur etwa 23.000. Die hohe Zahl erklären die Forscher damit, dass sich die Daphnien-Gene häufig verdoppeln; die Kopien übernehmen rasch neue Funktionen.

Eine weitere Überraschung für die Genomiker war, dass mehr als ein Drittel der Wasserflohgene völlig unbekannt waren und noch bei keinem anderen Lebewesen beschrieben wurden. Vieles deutet darauf hin, dass diese Gene als Reaktion auf Umweltstress entstanden sind.

Eine weitreichende Schlussfolgerung aus dieser Entdeckung: Biologische Modellorganismen, die unter konstanten Laborbedingungen gehalten werden, geben wohl nicht die gesamte Palette ihrer Genfunktionen preis. Deshalb scheint eine neue Disziplin vonnöten, die wohl Umweltgenomik heißen sollte. Daphnia könnte ihr ideales Studienobjekt sein. (tasch, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4. Februar 2011)