Ulrich Hackenberg (60) ist Entwicklungsvorstand der Marke VW und maßgeblich an den technologischen Weichenstellungen im Konzern beteiligt.

Foto: VW

STANDARD: Halten Sie es für sinnvoll, ein Weltauto zu bauen? Solche Versuche hat es ja schon oft in der Geschichte gegeben.

Hackenberg: Ein Baukastensystem kann ich weltweit ausbreiten. Die Märkte verändern sich ja. Wenn sie sich anschauen, was ist ähnlich an den Märkten, dann sind das die Megacitys, die überall entstehen. Die Unterschiede innerhalb der Megacitys werden sich annähern, die innerhalb der Länder werden spezifisch bleiben. Bestimmte Autos werden ja heute schon als Weltauto akzeptiert. Nehmen sie einen Audi A8, oder auch eine Mercedes S-Klasse, die werden weltweit so verkauft, wie sie hier sind. Aber wenn es um Volumenautos geht, die ganz gezielt auf die Bedürfnisse der Kunden im jeweiligen Land zurechtgeschnitten sind, werden sie immer Unterschiede haben. Trotzdem kann man Synergien holen, wenn man mit Baukästen arbeitet, wo die einzelnen Komponenten lokal gesourct werden und auch lokale Eigenschaften haben.

STANDARD: Wenn Sie der größte Autobauer der Welt werden wollen, müssen Sie am US-Markt aber ordentlich Gas geben.

Hackenberg: Wir haben in Detroit gerade den US-Passat vorgestellt, der anders ist als der Passat hier, aber auch in dieses Baukastenschema reinpasst. Die Fabrik, die wir gerade in den USA gebaut haben und die gerade anläuft mit diesem Auto, ist schon auf den Baukasten ausgelegt und gestattet es, neben dem Passat in Zukunft auch andere Autos herzustellen, die in dieses Schema hineinpassen.

STANDARD: Wie wollen Sie Porsche ohne Identitätsverlust in Ihr hochgezwirbeltes Gleichteilesystem integrieren?

Hackenberg:  Kommt darauf an, über welche Fahrzeuge wir reden. Der 911er lebt von seinem Antriebskonzept, der hat einen Heckmotor, hat auch einen Längsantrieb, aber wir werden den modularen Längsbaukasten nicht vergewaltigen und damit auch noch eine Variante mit Heckantrieb machen. Aber auch der 911er hat bestimmte Komponenten, etwa Fensterheber, Türscharniere, Klimakompressor. Es spricht nichts dagegen, solche Dinge zu vereinheitlichen.

STANDARD: Warum gibt es den Pickup Amaroc nicht auf dem klassischen Pickup-Markt USA?

Hackenberg: Es gibt zwei Arten von Pickups. Das eine ist der weltweite Pickup außerhalb der USA, etwa der Toyota Hilux, und dann gibt's die amerikanischen Pickups, die noch einmal größer sind und noch einmal ein bisschen einfacher. Die sind in den USA recht erfolgreich, weil sie andere Steuergesetze haben und weil sie mit weniger Steuern größere Motoren verwenden dürfen.

STANDARD: Würde Ihr Pickup also gar nicht in die USA passen?

Hackenberg: Unser Pickup ist eine eigene Plattform, die hat mit unseren Baukästen sonst nichts zu tun. Aber neben den Baukästen haben wir eine Modulmatrix, die beschreibt alle Bauteile des Fahrzeugs. Die nutzt er natürlich auch. Aber vom Fahrwerk und Karosseriekonzept her ist er völlig eigenständig. Die Amerikaner hätten so was sicher auch gerne, aber das ist nur wirtschaftlich, wenn man den Wagen in den USA baut, auch mit Komponenten aus den USA.

STANDARD: Warum setzt man beim Elektro-Audi auf einen völlig neuen Wankelmotor? Sie haben doch selbst genug Motoren im Regal.

Hackenberg: Die Logik dahinter ist, dass ein Elektroauto eigentlich ein sehr leises Fahrzeug ist. Wenn sie da einen Verbrennungsmotor zuschalten, damit der einen Generator antreibt, dann ist das mit Vibrationen verbunden, und hier ist ein Kreiskolbenmotor sehr laufruhig. Der Ansatz ist also interessant, ob man den industrialisiert, wird sich zeigen.

STANDARD: Wie sieht es mit Kohlefaserwerkstoffen beim Leichtbau aus?

Hackenberg: Leichtbau ist ein wichtiges Thema, weil Batterien schwer sind. Wenn ich mir anschaue, welche Baustoffe sind die leichtesten, dann ist da Kohlefaser weit oben im Ranking, aber auch bei den Kosten, noch dazu bei einer sehr niedrigen Verarbeitungsgeschwindigkeit. Bei großen Serien braucht man auch Werkstoffe, die man mit hohen Takten herstellen kann. Da ist Kohlefaser weniger geeignet. Wenn man die Kosten genauer anschaut, wird man dazu kommen, dass die Multimaterialtechnik das Sinnvollste ist. Man muss das Material an die richtige Stelle bringen, wo es den größten Effekt erzielt. Unsere Philosophie ist, dort, wo die hohen Crash-Kräfte auftreten, mit Warmumformtechniken zu arbeiten. Nach wie vor in Stahl, aber wir verformen halt den aufgeheizten Stahl, und damit bringen wir ihn in die Nähe von Federstahl. Dann hat man noch die vielen Flächen am Fahrzeug, und dann muss man auch wieder die Materialien nehmen, die am besten geeignet sind, Aluminium, Kohlefaser, aber auch andere glasfaserverstärkte Kunststoffe. Dann gibt's noch das Thema Marketing. Audi hat einen riesigen Imagevorsprung über den Alu-Space-Frame. Das hat BMW nicht. Das versuchen sie jetzt vielleicht mit Kohlefaser aufzubauen. Marketing steht über allem in dieser Ecke, und da kann man auch mal was investieren.

STANDARD: Wie breit muss ein Kleinwagen mindestens sein, dass er noch als richtiges Auto wahrgenommen wird?

Hackenberg: Ich denke, dass der Golf I durchaus ein gutes Maß war, viel kleiner sollte man nicht werden. Schon aus Sicherheitsgründen beim Crash. Auch für das Kippen spielt die Breite eine Rolle. Von der Breite her hat man da keine große Flexibilität. (Interview von Rudolf Skarics/DER STANDARD/Automobil/28.01.2010)