Wien - Das Credo: Der Effekt von Psychoanalyse und anderen Psychotherapien lässt sich messen und zum Teil sogar mit Bild gebenden Verfahren darstellen. Mit 1. Jänner hat der in Rotterdam geborene, an der Universitätsklinik in Innsbruck zum Facharzt für Psychiatrie ausgebildete und in den vergangenen Jahren in Deutschland tätige Psychiater und Psychoanalytiker Stephan Doering die Leitung der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie in Wien (AKH) übernommen. Seine Schwerpunktsetzung: die Erforschung von Psychoanalyse und Psychotherapie, auch mit modernsten technischen Verfahren. Im Endeffekt geht es in der Psychotherapie-Forschung darum, die Wirksamkeit der verschiedenen Therapieformen immer genauer und für einzelne Krankheits- und Störungsbilder zu bestimmen.

Aus Münster (Professur für Psychosomatik in der Zahnheilkunde) ausgerechnet nach Wien mit seinem komplizierten Psychoanalyse-Hintergrund? Für Doering offenbar kein Problem: "Ich bin ja nicht ganz ohne Österreichbezug. Ich habe zehn Jahre in Innsbruck verbracht, meine Frau ist Österreicherin. Mit der Klinik hier habe ich im Rahmen einer internationalen Studie zusammen gearbeitet, die im vergangenen Jahr im 'British Journal of Psychiatry' veröffentlicht wurde."

Doering ist mit den Möglichkeiten an der Meduni Wien als Nachfolger von Marianne Springer-Kremser offenbar sehr zufrieden: "Lehrstuhl beziehungsweise Klinik gehören international zu den großen Einheiten. Wir haben hier zehn Beschäftigte, das gibt es in vergleichbaren Institutionen selten. Und Wien hat sehr viele und sehr gut ausgebildete Psychotherapeuten."

Arbeitsschwerpunkt Psychotherapieforschung

Das könnte die Basis für eine erfolgreiche wissenschaftliche Tätigkeit sein. Der Wissenschafter: "Mein Arbeitsschwerpunkt ist die Psychotherapieforschung, speziell die Erforschung psychoanalytisch basierter Therapien. Es ist viel mehr objektiv bewiesen, als man glauben könnte. Psychoanalyse bzw. Psychotherapie sind in der Behandlung einiger psychischer Erkrankungen so wirksam wie Medikamente. Das gilt zum Beispiel für Angststörungen, Depressionen, Traumafolgestörungen und Persönlichkeitsstörungen. Bezüglich der Behandlung von leichten und mittelschweren Depressionen wissen wir, dass die Psychotherapie genauso gut wie Medikamente wirkt, allerdings nachhaltiger."

Die Modellierung von Regelkreisen im Gehirn durch die Psychotherapie hält offenbar länger an als bei einem Arzneimittel nach dem Beenden der Einnahme. Doering: "Man kann den Effekt von Psychotherapie auch mit technischen Mitteln, zum Beispiel mit Bild gebenden Verfahren wie Magnetresonanz- oder PET-Untersuchungen (Positronen-Emissions-Tomographie) sichtbar machen." 

Übertragungs-Fokussierten Psychotherapie

Ein klassisches Beispiel für die Forschungsarbeiten ist die im Jahr 2010 in der britischen Fachzeitschrift heraus gekommene und in Kooperation zwischen MedUni Innsbruck, MedUni Wien und Technischer Universität München durchgeführte Studie zur Wirkung der Übertragungs-Fokussierten Psychotherapie (TFP) im Vergleich zu sonst üblichen Psychotherapie-Verfahren bei der Borderline Persönlichkeitsstörung. Doering: "Es wurden 104 Patientinnen ein Jahr lang entweder zweimal pro Woche mittels TFP oder mit einer Standardpsychotherapie behandelt. Zur Messung des Erfolgs wurden umfangreiche Interviews und Fragebögen eingesetzt." Das Ergebnis: TFP war deutlich effizienter.

Als nächstes wollen sich Doering und seine Mitarbeiter narzisstische Persönlichkeitsstörungen als Zielgruppe für Therapiestudien vornehmen. Der Experte: "Da gibt es bisher keine in ihrer Wirkung dokumentierte Therapien. Zudem sind Menschen, die eine derartige Störung aufweisen, oft schwer zu einer Therapie zu motivieren." - Wer gesteht sich bzw. einem Therapeuten schon gern das eigene Scheitern ein, wenn er bemüht ist, ein grandioses Selbstbild aufrecht zu erhalten? 

Versorgungstechnische Voraussetzungen in Österreich

Was trotz an sich guter Voraussetzungen in Österreich zu fordern wäre: die flächendeckende Versorgung von Patienten mit behandlungsbedürftigen Störungen auf Krankenschein. Doering: "Da ist die Situation in Deutschland oder der Schweiz noch etwas besser." Im Bereich der Psychotherapie argumentiere man gleich mit den Kosten, bei enorm kostspieligen Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes geschehe das eigenartigerweise kaum. (APA/red)