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Bei Gaultier gehörte der Laufsteg am Ende nicht einer züchtigen Braut, sondern einer Cancan-Tänzerin.

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Chanel

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Wie die Leute von Chanel das nur hinkriegen? Ohne Ansage, ohne Tusch, ohne irgendein Signal geht der Geräuschpegel im Saal in der Rue Cambon auf annähernd null. Hier sitzen Freunde des Hauses, ehemalige Mitarbeiter, wenige Journalisten, die den Hausbrauch gut kennen. Keine herbeigekarrten Hollywood-Blondinen ziehen die Blitzlichter auf sich. Die Aufmerksamkeit gehört ganz dem aus vielen Spiegelteilchen zusammengefügten Torbogen und der Mode, die da jeden Moment erscheint.

Lady Stella Tennant, mittlerweile gute 40, eine Lagerfeld-Favoritin aus den 1990er-Jahren, eröffnet die Haute-Couture-Show und macht mit dem ersten Outfit klar, welches Stück hier in der kommenden halben Stunde gespielt wird: rosa, weiß, silbrig, creme, pastell, kühl, lyrisch, subtil, elegant, leise, duftig. Egal, ob es ein Sixties-Kleidchen in A-Linie ist, die große Robe oder ein leichter, schimmernder Kaftan über pastellfarbenen Röhren-Jeans - Karl Lagerfeld steuert die Zeitmaschine mühelos durch die Kostümkunde und gibt einen vollkommen störungsfreien Reisebericht.

Ohne Anstrengung befreit er die Haute Couture vom Ballast der Erwartung von Pomp und Spektakel und beantwortet so die Saison für Saison gestellte Frage, was denn Couture in der heutigen Zeit sei. Sie soll das beste verfügbare Handwerk, die größte Kunstfertigkeit mit Bildung, Geschmack und Innovationskraft des Couturiers-Genius vereinen und so etwas schaffen, was mehr ist als die Summe seiner Teile, dem Kunstwerk näher als der Leistungsschau.

Und wenn das bedeutet, dass entrümpelt werden muss, ist Lagerfeld ganz vorn dabei. Keine Stoffkaskaden über Gebühr, keine Frisurenexperimente lenken den Blick vom Wesentlichen, von der guten, klaren Linie. Wer braucht schon viel Schuh, wenn's die Linie stört. Die geschlossenen Zehenkappen mit transparenten Knöchelriemen, von einer Dreimillimetersohle zusammengehalten, gehen grade noch so als Schuh durch. Reduzierte man sie weiter, gingen die Models barfuß. Dass sich Lagerfeld mit Jeans und Pailletten-Leggings und legeren über Hüft langen Tops einen Studentinnen-Look auf die ganz große Modebühne bringt, bei aller gebotener Haute-Couture-Perfektion natürlich, ist auch ein Eintrag ins Stammbuch der Kritiker, die die Haute Couture als altbackene Veranstaltung sehen wollen.

Panzer bei Armani
Bei Armani hingegen blitzlichterte es gewaltig. In der ersten Reihe gaben sich Sophia Loren und Jodie Foster die Ehre. Auf dem Laufsteg versuchten junge Damen in panzerhaft engen, metallisch glänzenden Kleidern und Kostümchen voranzukommen. Jeder der mühsamen Schritte erzeugte spektakuläre Lichtreflexe, die deckelhaften Metallic-Hütchen waren die leuchtenden Pünktchen auf den staksenden "i"s. Ebenfalls metallisch schimmernde Leggings waren Armanis Konzession an die real existierende Mode.

Ansonsten spielte die Diva die Hauptrolle auf den Laufstegen. Bei Dior präsentierte John Galliano, nie um große Posen und Gesten verlegen, seine Version der Göttlichen. Die internationalen Zelebritäten vom Kaliber Anna Wintour ließen sich gerne mitreißen von den Marilyn Monroes und den Jane Russells, die outriert verführerisch und kalkuliert verlegen die Augenlider flattern ließen. Die ausladenden Röcke, die superschmalen Taillen und die mädchenhaften Blusen des New Look à la Galliano defilierten in theatralischer Perfektion, die für Bernard Arnault, Chef des Dachkonzerns LVMH, Übervater bei Dior und Mentor des Kreateurs, zeigt, dass sich sein Einsatz für die Haute Couture gelohnt hat.

Perfektion ist wohl auch für Jean Paul Gaultier wichtig, sonst hat man in der Haute Couture nichts verloren. Allerdings ist ihm der Spass zu ernst, als dass man ihn der Perfektion opfern sollte. Unverzichtbar sind natürlich auch Pop-Kultur, Punk, Anarchie - aber ohne den politischen Gehalt. Das wäre wieder zu ernst.

Gaultier machte den Ton für seine Couture mit Musik. Ein bisschen Cancan hier, ein wenig Rock in the Kasbah da. Die Modelle heißen denn auch Punk Canaille, Le Chat Noir, Elysée Montmartre etc. Ob Jacques Offenbach oder Joe Strummer von The Clash im Grab rotieren, sei dahingestellt. Die kindliche Inszenierungswut von Gaultier hat Kraft. Die Leinwand-Göttinnen der 1940er-Jahre lassen grüßen. In den Kostümen mit den breiten Schultern, den schmalen Taillen, den gewitzten Schnürungen und Stoffaussparungen, die die Kostümform nahezu auf ihr Skelett reduzieren, und den karibischen Rüschen an Ärmeln und Röcken mag man sich Ava Gardner und Lauren Bacall gerne lustwandelnd vorstellen. Zumal - Skandal - mitten auf dem Laufsteg geraucht werden durfte.

Die Musik endete, als das erste Model den Laufsteg betrat. Stattdessen deklamierte Madame Catherine Deneuve vom Band Titel und Kurzbeschreibung des jeweiligen Outfits. Musik gab's erst wieder, als am Ende statt einer züchtigen Braut eine Cancan-Dame die feurige Innenseite ihres außen artig weiß gerüschten Kleides präsentierte. Die Deneuve gab sich vergnügt. Jean Paul Gaultier war's sowieso.

Bei Gaultier gehörte der Laufsteg am Ende nicht einer züchtigen Braut, sondern einer Cancan-Tänzerin. Auch andere Modehäuser versuchten, die Haute Couture zu entrümpeln - mit gemischtem Erfolg: rechts oben Chanel, darunter Dior und Armani. (Bettina Stimeder aus Paris, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.1.2011)