"Die Albaner haben einen großen Wunsch haben nach der unvorstellbaren Isolation während des Kommunismus-Regimes ohne Visum zu reisen."

Foto: Armand Feka

Seit den Wahlen im Jahr 2009 ist das Land am Westbalkan politisch gelähmt, die Opposition wirft der Regierung Wahlfälschung vor. Bei heftigen Zusammenstößen vergangene Woche wurden drei Demonstranten erschossen, zahlreiche Polizisten und Demonstranten verletzt. daStandard sprach mit dem Botschafter Vili Minarolli über seine Sichtweise auf die jüngsten politischen Spannungen in Albanien.

daStandard.at: Wie steht es um die derzeitige politische Lage in Albanien? In den Medien überschlagen sich die Meldungen. Es ist von gewaltsamen Protesten mit gezielten Hinrichtungen der Demonstranten die Rede...

Minarolli: Die Demonstrationen der sozialistischen Opposition am 21. Jänner waren ein gewaltsamer Versuch, die demokratisch legitimierte Regierung Albaniens unter Premierminister Sali Berisha zu stürzen. Die derzeitigen Geschehnisse und die Vorgangsweise der sozialistischen Anführer sprechen für die Fortführung der Philosophie der kommunistischen Parteien des 20 Jahrhunderts. Zumindest in Europa kann heute keine rechtmäßige Regierung mit Gewalt gestürzt und die verfassungsmäßige Ordnung angegriffen werden, weil eine politische Kraft die demokratischen Regeln des Regierungswechsels durch die Wählerstimme nicht respektieren will.

Was für eine Rolle spielt Ihrer Ansicht nach der Anführer der Demonstrationen, der Sozialistenchef Edi Rama?

Minarolli: Die gewaltsamen Demonstranten, die versucht haben den Sitz des Premierministers zu besetzen, wurden von Rama für seine persönlichen Zwecke instrumentalisiert. Er rief seine Anhänger zu gewaltsamen Protesten auf, leitete diese jedoch nicht selbst. Die Demonstration war also nicht politisch motiviert, sondern mündete in einer von etwa 200-300 Personen verursachten Anarchie. Viele von ihnen waren vorbestrafte, unverantwortliche und bezahlte Individuen, die von Edi Rama unterstützt wurden. Sein primäres Ziel war es, sich auf den Sessel des Premierministers zu hieven.

Seit eineinhalb Jahren erkennt er das Wahlergebnis nicht an, da er sich als Wahlverlierer eigentlich vom Parteivorsitz zurückziehen müsste. Er konnte auch keine Beweise oder Argumente vorlegen, die den Vorwurf der Wahlfälschung bestätigen. Dass drei Menschen sterben mussten, ist ein großes Unglück. Viele verurteilen das, was geschehen ist, mich eingeschlossen, und fordern, dass eine unabhängige Untersuchung durchgeführt und die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden. Jedoch sollte man nicht vorschnell mit Anschuldigungen sein, ehe die Untersuchungsergebnisse vorliegen. Menschenleben dürfen nicht für politische Zwecke benutzt werden. (Anm. Ein Vorwurf lautet, dass Scharfschützen auf Demonstranten geschossen hätten)
Es gab zahlreiche Vorwürfe der Opposition, dass es bei den letzten Wahlen zu massiven Wahlfälschungen gekommen sei. Die Regierung hat das stets verneint.

Glauben Sie, dass die Anordnung, die Wahlzettel zu verbrennen, weiter Öl ins Feuer gegossen hat?

Minarolli: Zunächst einmal muss dazu gesagt werden, dass die Wahlen bereits 2009 stattgefunden haben und es damals keine Anzeichen für Wahlfälschung gab. Der Bericht der internationalen Beobachter der OSZE bezeichnete die Wahl als demokratischste und freieste der letzten zwanzig Jahre. Bei den Wahlkreiskommissionen waren beide Parteien vertreten, und keines der Kommissionsmitglieder der Opposition hat damals etwas beanstandet. Das Wahlergebnis wurde einstimmig angenommen. Auch die von beiden Parteien getragene Zentrale Wahlkommission hat das Wahlergebnis einstimmig angenommen. Alles wurde gemäß dem von Rama selbst vorgeschlagenen Wahlgesetz durchgeführt. Erst als klar war, dass die Wahl zu seinen Ungunsten ausgehen würde und die Demokraten mit 70 zu 65 Plätzen im Parlament (Anm. 4 weitere Plätze erhielt die Linksdemokratische Partei LSI und ging eine Koalition mit Berisha ein) die Oberhand gewinnen würden, fing er an die Wahlen und die demokratisch gewählte Regierung anzufechten. Diese Ergebnisse jetzt weiterhin abzulehnen ist eine Farce.

Glauben Sie, dass die derzeitigen Unruhen den Ruf Albaniens als potentielles EU-Mitglied dauerhaft geschadet haben?

Minarolli: Ich bin überzeugt davon, dass die derzeitige kritische Situation sich nicht dauerhaft auf unsere Ambitionen, ein vollwertiges Mitglied der europäischen Gemeinschaft zu werden, auswirken wird. Die Europäische Union wird das albanische Volk aufgrund dieser Geschehnisse, die meines Erachtens sich nicht wiederholen werden, nicht verdammen.

Seit der Visaliberalisierung für Albanien (seit 15. Dezember 2010, Anm. d. Red.) gibt es einige EU-Länder, die über eine mögliche Asylantenflut aus dieser Region ziemlich besorgt sind.

Minarolli: Ich habe absolut keine Befürchtungen, dass das zu einem Problem werden könnte, da wir sehr ernsthaft Maßnahmen ergriffen haben, um solche Entwicklungen zu verhindern. Albanien hat sich gut vorbereitet, um das Recht auf Bewegungsfreiheit für seine Bürger im Schengen-Raum zu gewinnen. Mit dem nationalen Zivilregister, biometrischen Pässen, der Modernisierung der Grenzübergänge haben wir dafür auch die nötigen Strukturen geschaffen. Dem 15. Dezember ging eine landesweite Sensibilisierungskampagne zu den Rechten und Pflichten der Bürger bezüglich der Bewegungsfreiheit vor. Die Menschen wissen, dass sie zuerst einen biometrischen Pass sowie zusätzliche Dokumente benötigen, um in visumsfrei den Schengen-Raum reisen zu dürfen. Sie müssen sich das so vorstellen, dass die Albaner einen großen Wunsch haben, nach der unvorstellbaren Isolation während des Kommunismus-Regimes ohne Visum zu reisen. Leider hat die von Edi Rama geführte Opposition in Albanien versucht, diesen Prozess lange zu blockieren. Die Visaliberalisierung sollte nicht als Errungenschaft der derzeitigen Regierung anerkannt werden.

Was ist das wichtigste Thema für Albanien, nachdem die EU die Visa-Pflicht aufgehoben hat?

Minarolli: Das kurzfristige Ziel der derzeitigen Regierung ist sicherlich den Status als Beitrittskandidat der europäischen Union zu erlangen. Leider konnte dies auf Grund der von der Opposition verursachten Probleme nicht im November letzten Jahres erreicht werden. Die Entscheidung wurde auf November 2011 verschoben. Leider haben wir aufgrund von innerpolitischen Schwierigkeiten und dem Boykott der Oppositionsparteien im Parlamen; wichtige Gesetze, die für die Beschleunigung unserer Bemühungen notwendig wären nicht durchbringen können. (Anm. für Gesetzte im Verfassungsrang braucht man eine 3/5 Mehrheit.)

Woran sind Albaner interessiert, wenn sie nach Österreich und in die EU kommen?

Minarolli: In erster Linie geht es den meisten Albanern sicherlich darum, ihre Verwandten, die in ganz Europa verstreut sind, ohne größere Hindernisse besuchen zu können. Weiters können albanische Geschäftsleute direkte Beziehungen zu ihren europäische Partnern herstellen. Auch der beidseitige Austausch auf dem Gebiet der Kultur und der Wissenschaft liegt im gegenseitigen Interesse. Nicht zuletzt kommt der Wunsch der Albaner, als Touristen zu reisen, um andere Länder und Kulturen kennen zu lernen. Seit dem 15. Dezember hat die Anzahl der Reisebüros im Land zugenommen. Schließlich besteht auch das Bedürfnis, aus gesundheitlichen Gründen, z.B wegen einer ärztlichen Beratung oder das Aufsuchen eines Spezialisten im Ausland, visumsfrei auszureisen.

Albanien liegt laut Transparency International auf Rang 78 was die Korruption betrifft. Wie ist es tatsächlich um die Sicherheit bestellt, wie will man weitere ausländische Investoren anziehen?

Minarolli: Das albanische Parlament hat fortdauernd mehrere Gesetze erlassen um für ausländische Investoren ein möglichst attraktives Klima zu schaffen. Durch gravierende Strukturänderungen sollen zum Beispiel Firmengründungen durch in- und ausländische Investoren erleichtert werden. Die öffentliche Verwaltung beschleunigt diese zum Beispiel durch „One Stop Shops", die alle bürokratischen Schritte, die dafür notwendig sind, in einer einzigen Stelle durchführt. Außerdem wird die Korruption weiter bekämpft in dem wir in vielen öffentlichen Bereichen bereits die Online-Einreichung eingeführt haben und die Menschen somit viele persönliche Begegnungen vermeiden können. Ich sage nicht, dass der Kampf gegen die Korruption leicht ist, aber das Engagement des Staates diesen kompromisslos zu bekämpfen ist nach wie vor groß. Ich bin sicher, dass die Regierung von Premier Berisha mit ihrer Entschlossenheit zur Nulltoleranz gegenüber der Korruption bereits erkennbare Erfolge erzielt hat, aber sie bleibt eine wichtige Herausforderung. (Anm. Österreich hat Albanien einen Kredit von 40 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, den es unter Einbezug von österreichischen Unternehmen in die Realisierung der Projekte zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung investieren wird.)

Viele große österreichische Firmen sind in Südosteuropa tätig. Wie schätzen sie die Rolle Österreichs auf dem Westbalkan und Albanien ein?

Minarolli: Österreichs Rolle in dieser Region ist selbstverständlich äußerst wertvoll: Zunächst wegen dem wirtschaftlichen Entwicklungspotenzial und Modernisierungsgrad, den dieses Land besitzt. Außerdem sind Österreich, seine Bevölkerung und Politik auch historisch Unterstützer des Fortschritts unserer Länder gewesen. Viele größere Firmen, wie die Wiener Städtische, Rogner oder EVN sind in wesentlichen Bereichen des Landes engagiert, und ich versichere ihnen, dass sie ein günstiges Klima vorfinden werden, um erfolgreich zu investieren. Wir sehen den österreichischen Staat als einen wichtigen und ständigen Verbündeten in politischen und wirtschaftlichen Fragen, sowie bei dem EU-Integrationsprozess.

Wie sind die albanischen Beziehungen zu Serbien? Was kann Albanien tun, um den erwarteten Dialog zwischen dem Kosovo und Serbien zu beschleunigen?

Minarolli: Wir haben mit allen benachbarten Ländern eine ausgezeichnete Zusammenarbeit, so auch mit Serbien. Zwischen beiden Ländern herrscht ein enger politischer, wirtschaftlicher und kultureller Austausch. Der Kosovo ist ein unabhängiger Staat, und es bleibt eine Frage zwischen den beiden Ländern, das gegenseitige Einvernehmen auf dem Wege des Dialogs zu finden. Wie auch alle anderen Länder der EU und der Region engagiert sich Albanien, alle Initiativen zu fördern, die zum Beginn des Dialogs führen. Wir sind sicher, dass der gemeinsame Integrationsprozess aller Länder der Region, Serbien und Kosovo eingeschlossen, in die EU die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern beschleunigen wird. (Armand Feka, 28. Jänner 2011, daStandard.at)