Eine der zentralen Freiheiten von Open Source ist die Möglichkeit die Codebasis einfach abzuspalten, wenn man mit der Ausrichtung des Original-Projekts nicht mehr einverstanden ist. Eine Freiheit, die allerdings real nur relativ selten zum Einsatz kommt, ist der damit verbundene Aufwand vor allem bei etwas umfangreicheren Projekten nicht zu unterschätzen. Entsprechend war es dann doch noch eine kleine Überraschung, als eine Gruppe von EntwicklerInnen im September des Vorjahres unter dem Dach der "Document Foundation" das LibreOffice-Projekt aus der Taufe hob. Nach einem guten Jahrzehnt intransparenter Strukturen, überbordender Bürokratie und einer gewissen Ignoranz gegenüber der Community auf Seiten des Rechteinhabers Sun wolle man endlich das ursprüngliche Versprechen von OpenOffice.org einlösen und ein wirklich freies Office-Projekt schaffen, so die EntwicklerInnen. (Mehr zu den Hintergründen des Forks können im Interview mit LibreOffice-Entwickler Michael Meeks nachgelesen werden)

Umsetzung

Die Ankündigung eines solch ambitionierten Unterfangens ist freilich das eine - die reale Umsetzung etwas ganz anderes. Doch allen ZweiflerInnen zum Trotz: Seit kurzem gibt es eine erste stabile Version von LibreOffice, die im folgenden etwas näher beleuchtet werden soll. Zuvor aber noch ein paar Eckdaten, die verdeutlichen, dass man zumindest schon mal aus rein organisatorischer Sicht einen durchaus erfolgreichen Start hinlegen kann: An der Entstehung von LibreOffice 3.3 waren rund 100 EntwicklerInnen beteiligt, begonnen hatte man das Projekt mit ca. 20 Personen. Rege Aktivitäten, die sich auch an einem unübersehbar hohen Mailaufkommen auf den diversen Diskussions-Listen der "Document Foundation" niederschlägt. Immer wieder tauchen neue EntwicklerInnen auf, deren Änderungsvorschläge und Patches in der Vergangenheit von Sun ignoriert wurden. So hat sich mittlerweile praktisch die gesamte ehemalige OpenOffice.org-Community hinter LibreOffice gestellt, von externen ÜbersetzerInnen, Linux-Distributoren bis zu praktisch allen rund um das freie Office aktiven Unternehmen, allen voran Novell und Red Hat, Support gibt es auch von Google und Ubuntu-Hersteller Canonical.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die große Ausnahme bildet natürlich Oracle, das sich zwischenzeitlich Sun einverleibt hat und darauf beharrt OpenOffice.org in seiner bisherigen Form weiterzuführen. Das Angebot der Document Foundation, die Entwicklung der Office-Suite unter neuen Rahmenbedingungen - offene Dachorganisation, kein Copyright-Assignment, das Oracle unter anderem exklusive kommerzielle Weiterverwertungsrechte zusichert - gemeinsam weiterzuführen, hat der Datenbankspezialist recht unmissverständlich ausgeschlagen. So wird fürs Erste also mal parallel entwickelt, auch wenn sich dank der offenen Verfügbarkeit des Codes LibreOffice noch recht stark bei den Entwicklungen von OpenOffice.org bedienen kann - und so indirekt auch von den Anstrengungen Oracles profitiert.

Download

Als erstes fassbares Ergebnis all dieser Bemühungen gibt es nun also LibreOffice 3.3 (bzw. auch schon eine erste Bugfix-Release in Form der Version 3.3.1), die Software steht dabei in Ausführungen für Windows, Linux (32- und 64-Bit) sowie Mac OS X (sowohl für Intel als auch PowerPC-Prozessoren) zum Download, auf eine Solaris-Version - wie bislang von Sun forciert - verzichtet man hingegen. Im Gegensatz zu OpenOffice.org gibt es unter Windows nun einen gemeinsamen Installer, der alle verfügbaren Sprachvarianten beinhaltet, für Linux und Mac setzt man hingegen auf eine rein englischsprachige Variante, die jeweilige Lokalisierung (+Rechtschreibprüfung) kann dann als Extra-Paket heruntergeladen werden - was praktischerweise auf der Download-Seite auch gleich so angeboten wird.

Umfangreich

Eine Änderung, die vor allem recht praktische Gründe hat: Der Platzverbrauch aller LibreOffice 3.3-Pakete - also alle Kombinationen aus Sprachvarianten und Betriebssystemen - beträgt nun "nur" mehr 11 GByte, eine typische OpenOffice.org-Release braucht hier satte 75 GByte am Server. Neben der Ressourcenersparnis führt man aber noch ein anderes Argument ins Feld, der geringere Umfang erlaubt es neue Testversionen schneller auszuliefern.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Für Windows-UserInnen selbst ist die Perspektive hingegen eine etwas andere: Der Download von LibreOffice 3.3 umfasst stolze 213 MByte, und ist damit - eben wegen der zusätzlichen Sprachinformationen - deutlich größer als OpenOffice.org 3.3, das mit rund 150 MByte zu Buche schlägt. Für die Zukunft verspricht man hier signifikante Verbesserungen, so soll LibreOffice 3.4 mit 160 MByte auskommen - diverse Aufräumarbeiten am Code sollen es möglich machen.

Linux

Ein Hinweis für Linux-NutzerInnen: Zwar gibt es generische RPM- und DEB-Pakete zum Download, das Projekt empfiehlt hier aber die von den Distributionen bereitgestellten LibreOffice-Ausgaben zu nutzen, da diese auf die jeweiligen Systemkomponenten optimiert sind. Da profitiert man dann auch von dem Umstand, dass sich mittlerweile praktisch alle relevanten Linux-Distributionen hinter LibreOffice gestellt haben. So werden etwa Ubuntu, Fedora und openSUSE dieses künftig von Haus aus mitliefern - und damit OpenOffice.org ablösen.

PrOOo-Nachfolge

Zu all diesen Download-Optionen gesellen sich aber noch zwei weitere: Die im deutschsprachigen Raum sehr beliebte PrOOo-Box findet nun - ausschließlich - rund um LibreOffice ihren Nachfolger - auch hier hat man sich also der Document Foundation angeschlossen. Die LibreOfficeBox beinhaltet neben all den Download-Paketen für unterschiedliche Plattformen zusätzlich Templates, Clipart und diverse Erweiterungen. Auch andere Open-Source-Programme wie Mozilla Firefox oder Thunderbird hat man auf das kostenlose DVD-Image gepackt. Ebenfalls erhältlich ist LibreOffice Portable, eine spezielle angepasste Version des freien Office, die samt Dokumenten auf einem USB-Stick von (Windows-)Rechner zu Rechner mitgenommen werden kann.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Wer LibreOffice 3.3.1 zum ersten Mal startet wird schnell feststellen: Jenseits diverser Änderungen am Branding unterscheidet es sich rein oberflächlich kaum vom gewohnten OpenOffice.org. Angesichts der massiven Code-Basis und des Umstands, dass es sich um die erste stabile Release handelt, auch nicht weiter verwunderlich. Doch auch wenn man die wirklich größeren Umbauten erst in den kommenden Monaten und Jahren angehen will, kann schon die aktuelle Ausgabe mit diversen zusätzlichen Funktionen aufwarten, mit denen man sich von Oracles freiem Office absetzen kann.

Format

Dazu gehört zunächst mal eine deutlich verbesserte Dateiformatunterstützung: So kann LibreOffice 3.3 auch mit Microsoft Works und Lotus-Word-Pro-Dokumenten umgehen, es gibt zahlreiche Erweiterungen des Wordperfect-Supports, Dateien können im OOXML-Format von Microsoft nun auch abgespeichert werden. Ein weiterer Neuzugang ist die Unterstützung für SVG-Grafiken, über die sich vor allem die Zeichenkomponente der Office-Suite freut. Vor allem für die nachträgliche automatisierte Bearbeitung nützlich ist die Möglichkeit, Dateien als Flat-XML abzuspeichern.

Unterschiede

Rein äußerlich fällt auf, dass LibreOffice auch unter Windows das bei OpenOffice.org nur für Linux genutzte Tango-Iconset einsetzt - allerdings handelt es sich dabei nur um eine Übergangslösung. So arbeitet mittlerweile das Design-Team von LibreOffice an einem eigenen Icon-Theme, aber nicht nur das: Auf Perspektive soll das gesamte Interface grundlegend hinterfragt und ausgemistet werden, welchen konkreten Weg man dabei einschlägt, ist derzeit jedoch noch vollkommen offen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Ein weiteres Plus gegenüber OpenOffice.org ist die Integration eines eigenen Dialogs, um einfach Titelseiten zu erstellen. Linux-NutzerInnen freuen sich darüber, dass es auch für das Open-Source-Betriebssystem einen Schnellstarter gibt. Allerdings muss angemerkt werden, dass die meisten Distributionen diese Funktion ohnehin schon bisher integriert hatten, lediglich die offiziellen Builds von Sun/Oracle lassen den Schnellstarter bis heute dvermissen.

Ausbau

Der Usability zuträglich sind Verbesserungen am Slide-Layout in der Präsentationskomponente Impress, mit Libertine G und Biolinum G sind außerdem zwei neue Schriften hinzugekommen. Die Sprachunterstützung wurde weiter ausgebaut, so dass mittlerweile stolze 111 unterschiedliche Lokalisierungen verfügbar sind.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Schon vor der Spaltung hatten so manche spätere LibreOffice-EntwicklerInnen die tatsächlich etwas willkürlich anmutende Auslagerung zentraler Funktionen von OpenOffice.org in externe Erweiterungen kritisiert. Konsequenterweise werden bei LibreOffice 3.3 nun einige davon fix mit der Office-Suite ausgeliefert und aktiviert. Dazu gehört neben dem PDF-Import vor allem auch die "Presenter Console" für Impress, die Vortragenden eine Spezialansicht liefert - während über den Beamer nur die gerade aktuelle Folie zu sehen ist.

Hilfe

Von Haus verzichtet man hingegen auf die Auslieferung der integrierten Hilfe-Funktion, ganz weg ist diese damit allerdings nicht. Der entsprechend Eintrag im Menü öffnet nun ein Browser-Fenster mit den entsprechenden Informationen im LibreOffice-Wiki. Wer die Hilfe offline zur Verfügung haben will, kann diese zudem als eigenes "Helppack" herunterladen und hinzufügen - dies wird auch gleich auf der Download-Seite angeboten. Eine Ausnahme bildet dabei allerdings die Mac-Version, die weiterhin standardmäßig mit den Hilfe-Dokumenten ausgestattet ist.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Einen interessanten Ansatz wählt man mit der Aufnahme eines "Experimental Mode", in dem noch nicht fertiggestellte Features bereits vorab ausprobiert werden können. In LibreOffice 3.3 lässt sich damit die interaktive Formelbearbeitung direkt im Dokument aktivieren, bleibt abzuwarten, wie aktiv diese Funktion in Zukunft dann tatsächlich genutzt wird. Gut umgesetzt könnte dies dann also ähnlich wie der "Labs"-Ansatz werden, mit dem Google mittlerweile nicht nur bei seinen Online-Anwendungen sondern auch beim Browser Chrome frische Funktionen vorab testen lässt.

Calc

Im Vergleich zu OpenOffice.org 3.3 zeigt sich gerade die Tabellenkalulation Calc um einige Funktionen erweitert: Da wäre einmal die Unterstützung für unterschiedliche Formel-Syntaxen, neben Calc A1 versteht LibreOffice auch Excel A1 und Excel R1C1. Dazu kommen diverse Modifikationen an den Tastenkürzeln, mit denen man vor allem NutzerInnen anderen Office-Lösungen den Umstieg erleichtern will. So schließt ein Tab während dem Auto-Complete nun die Auswahl ab und geht zur nächsten Zelle, mit Shift-Tab lässt sich durch die unterschiedlichen Auto-Complete-Vorschläge wechseln. Wer sich mit diesem neuen Verhalten so gar nicht anfreunden kann, der greift zu den Einstellungen, wo sich die "OpenOffice.org Legacy"-Keybindings reaktivieren lassen.

Vermischtes

Die Ersetzen-Funktion lässt versteckte Zellen nun zunächst mal aus, damit es hier nicht zu unbeabsichtigten Modifikationen kommt. Ebenfalls neu ist ein kleiner Knopf um rasch ein neues Blatt zu öffnen, zudem gibt es diverse zusätzliche Rahmentypen, womit man nicht zuletzt auch die Kompatibilität mit Excel weiter verbessern will. Dazu passend soll LibreOffice auch beim Import von Excel-, ODS- und DBF-Dateien signifikant flotter zu Werke gehen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Zu all dem kommen dann natürlich noch die aktuellen Verbesserungen für OpenOffice.org 3.3, die man bei LibreOffice - wie schon erwähnt - praktisch deckungsgleich übernommen hat. So ermöglicht Calc nun Dokumente mit bis zu einer Million Zeilen, zuvor war man hier auf 65.336 Stück beschränkt. Zudem lassen sich jetzt auch Standard-PDF-Schriften in entsprechende Dateien einbetten, ebenfalls neu ist die Aufnahme der Liberation-Narrow-Schrift.

Import

Für Calc wurde der CSV-Import verbessert, Tabellenregister lassen sich jetzt mit unterschiedlichen Farben markieren, beim Standard-Zahlenformat gibt es eine automatische Nachkommastellenanzeige. Verfeinert wurde der Passwortschutz für Writer- und Calc-Dokumente, konnte man diese bisher nur ganz oder gar nicht sperren, lässt sich ein Passwort nun auch gezielt rein für Modifikationen verlangen. Bei Diagrammen lassen sich Zeichenobjekte einfügen, auch eine hierarchische Achsenbeschriftung ist hier nun möglich.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Einige Optimierungen hat man dem RTF-Export angedeihen lassen, bei RGBA-TIFFs wird zudem der Alpha-Kanal beachtet. Es gibt einen verbesserten Umgang mit den dokumentspezifischen Eigenschaften und einen überarbeiteten Druck-Dialog.

Fazit

Aktuell bewegen sich LibreOffice und OpenOffice.org also noch relativ nah beieinander - und das in jeglicher Hinsicht. Sei es die Versionsnummer, sei es das Release-Datum oder die Funktionalität - alles noch sehr ähnlich.  Sollte Oracle nicht doch noch einlenken - was wenig wahrscheinlich ist - könnte dieser Paarlauf allerdings schon bald ein Ende finden. Dies nicht zuletzt aufgrund der Zeitplanung: So will man bei LibreOffice einen fixen sechsmonatigen Veröffentlichungszyklus etablieren, wie bei so manchem anderen Open-Source-Projekt - etwa dem Linux-Desktop GNOME - sollen neue Major Releases dann immer fix im September und März kommen.

Schedule

Die konkrete Terminwahl ist vor allem ein Vorteil für Linux-Distributionen, die sich schon jetzt mit dem eigenen Zeitplan an GNOME orientieren, allen voran Ubuntu. Gibt es doch auf diese Weise dann mit einem neuen Ubuntu zuverlässig auch eine aktuelle LibreOffice-Version. Die NutzerInnen andere Plattformen freuen sich hingegen schlicht darüber, dass es regelmäßige Updates gibt - und dies ohne ewige Verzögerungen, wie sie bei OpenOffice.org an der Tagesordnung waren - OpenOffice.org 3.3 hat es vor seiner Freigabe ja auf geradezu rekordverdächtige zehn Release Candidates gebracht, alle im Wochentakt nachgeschoben.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Das nächste Wartungsupdate für LibreOffice (3.3.2) soll nach der aktuellen Planung bereits in Kürze erscheinen, Mitte März visiert man hier an. Neue Features soll es dann bereits im Mai geben, zu diesem Zeitpunkt ist die Freigabe von LibreOffice 3.4 vorgesehen, die konkrete Versionsnummer ist allerdings noch nicht in Stein gemeißelt. Parallel zu den üblichen Testversionen plant man die Veröffentlichung von "Daily Binaries", also täglich aktualisierten Paketen von LibreOffice, mit denen rasch der aktuelle Entwicklungsstand getestet werden kann - wie es etwa Mozilla beim Firefox schon einige Zeit vormacht.

Fazit

LibreOffice 3.3 kann bereits in der ersten Version durchaus überzeugen, dies auch im Vergleich zu OpenOffice.org, findet sich hier doch so manches Feature, das man bei Oracles Office-Suite vermisst - was umgekehrt aber nicht der Fall ist. Im Test erwies sich die Software zudem auch bereits als recht stabil, lediglich beim ersten Start unter Windows mussten einige Fehlermeldungen weggeklickt werden, da kein Java installiert war. Bei späteren Starts zeigte sich dieser Effekt allerdings nicht mehr. Ein echter Erfolg ist LibreOffice außerdem alleine schon deswegen, da man es geschafft hat eine funktionsfähige und gleichzeitig wesentlich offenere Struktur auf die Beine zu stellen, als es bei OpenOffice.org je der Fall war.

Zweigleisig

Und wer sich trotzdem noch nicht so recht für eine der beiden freien Office-Lösungen entscheiden kann, sei darauf hingewiesen, dass sich beide durchaus parallel installieren lassen. Ob das langfristig Sinn macht, steht natürlich auf einem anderen Blatt -  theoretisch machbar ist es aber sehr wohl.  (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 07.03.11)

Screenshot: Andreas Proschofsky