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Der Vasari-Nachlass könnte verkauft werden.

Foto: Archiv

 

"Herr Präsident, retten Sie das Vasari-Archiv!" Diesen Appell richtete die Nationale Versammlung der Kunsthistoriker an den italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano. Die Unterzeichner befürchten, den 500. Geburtstags des Vaters der Kunstgeschichte, Giorgio Vasari, ohne das Herzstück, den Vasari-Nachlass, feiern zu müssen. Denn für die 31 Faszikel mit Handschriften und Briefen soll eine russische Gesellschaft, die Moskauer Ross Group, 150 Millionen Euro geboten haben. Dies behaupten zumindest die Besitzer des Archivs, doch liegt die Vermutung nahe, es handle sich um einen hochstaplerischen Versuch, den Staat zum Erwerb des Archivs zu zwingen. Denn wie stünde das Land da, wenn zur Jubiläumsfeier des Ziehvaters der Renaissance dessen Manuskripte in russischen Besitz übergingen? Und noch dazu im Jahr des hundertfünfzigjährigen Bestehens Italiens als unabhängiger Staat?

Als Künstler konnte der Hofmaler Giorgio Vasari Michelangelo zwar nicht das Wasser reichen, doch schrieb er mit Viten der exzellentesten Maler, Bildhauer und Architekten mehr als nur eine Chronik des 16. Jahrhunderts. Er lieferten zu den Arbeiten seiner Kollegen das Theoriegerüst - plus Anekdoten. Seine Schriften gehören gewissermaßen zum Weltkulturerbe - das leibhaftige Erbe des besagten Archivs, einst im Besitz der Familie Rasponi-Spinelli, trat nach dem Tod der letzten Gräfin des Hauses 1985 ein entfernter Verwandter, Giovanni Festari, an. Ein eher symbolisches Erbgut, weil der Staat, vor allem nach dem Verschwinden dreier der 31 Faszikel Ende der 1980er mit einer "notifica pertinenziale" den Verbleib des Archivs im Vasari-Haus von Arezzo gesetzlich festlegte. Giovanni Festari, von Schulden geplagt, bemühte sich zwar um den Verkauf des Archivs, doch ließ ebenjene Verordnung den schier unschätzbaren - ideellen - Wert der Manuskripte auf den Boden der Tatsachen, den materiell eher bescheidenen Wert von 2,5 Millionen Euro, sinken.

Den Verhandlungskünsten Festaris nicht eben zuträglich war die Tatsache, dass das Archiv aufgrund der Bankschulden seines Besitzers zwischenzeitlich beschlagnahmt und gar zwangsversteigert werden sollte. Nach dem Tod Giovanni Festaris (2009) erreichten dann im Dezember 2010 seine vier Söhne die Freigabe des Archivs. Sie verkündeten, die seinerzeit von ihrem Vater in die Wege geleiteten Verhandlungen mit der Ross Group stünden nun vor dem krönenden Abschluss. Die Unterzeichnung des Kaufvertrags sei nur mehr eine Frage des Terminkalenders des von ihnen beauftragten Notars Roberto Romoli.

Dieser spricht jedoch zurzeit eher vage von einem Schwebezustand, während Wassilij Stepanow, Vorstandsmitglied der Ross, gegenüber der FAZ sagte, die Verhandlungen seien weder fortgesetzt worden noch liege ihm ein Kaufvertrag vor. Die Vermutung, die Festari-Söhne seien in die Fußstapfen des Vaters getreten und versuchten - mit der Androhung eines baldigen Geschäftsabschlusses - den Staat dazu zu bewegen, selbst in die Tasche zu greifen, liegt nahe. Das Nichteingreifen entpuppt sich zwar im Vasari-Fall als ausreichende Kulturschutzmaßnahme - dem Archiv droht kein Einsturz wie Pompeji -, doch ist das Ausruhen auf Verordnungen riskant. Denn was, wenn es einem juristisch gewandten Käufer gelänge, die Verbleibsklausel aufzuheben? Oder wenn einzelne Faszikeln, etwa die Briefe von Michelangelo an Vasari, illegal in die Schweiz kämen und schließlich (wie einst drei heimliche "Abwanderer") in der Rare Book and Manuscript Library (BRBL) der Yale University in New Haven aufzutauchen?

Wäre es nicht wünschenswert, das Ministerium würde das Archiv dem Gemeinwohl zuführen? Das 500. Jubiläum des Vaters der Kunstgeschichte könnte dazu der Anlass sein. Sicher, es ist eine Frage des Preises, und zugegebenermaßen liegen zwischen 150 und 2,5 Millionen Euro Welten. (Eva Clausen aus Rom/DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2011)