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Bevor es kein Weiter mehr gibt, soll eine "dritte industrielle Revolution" her.

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Wien - Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, hat ein Zukunftsforscher gute Teile der europäischen Eliten auf ein Programm eingeschworen, das er für die einzige Möglichkeit hält, der Auslöschung der Menschheit vorzubeugen: Jeremy Rifkin will in der "dritten industriellen Revolution" den Weg in eine emissions- und kohlenstoffarme, dezentral organisierte neue Zivilsation weisen. "Ich weiß nicht, ob wir noch rechtzeitig dahin kommen können - aber Technologie und eine Strategie dafür haben wir", glaubt er. Der Vordenker nahm dieser Tage an einem Kongress in Wien teil.

Rifkins Konzepte beeinflussen nationale Regierungen, die EU-Kommission, das Europaparlament sowie über den alten Kontinent verteilte Verbände und Lokalregierungen - beispielsweise in Rom und Utrecht. Die europäischen Politiker halten viel von dem US-Intellektuellen, der in einem Buch vor sieben Jahren den "amerikanischen Traum" für tot und den europäischen zum besseren der beiden Träume erklärt hat. Seine hierzulande gerne gehörte Botschaft: Das europäische Modell ist nicht nur sozialer und humaner, sondern auch innovativer - Europa werde die Welt durch die Wirtschafts-Revolution führen, der Rest der Welt werde nachfolgen.

Auf Initiative des Modedenkers brüten immer mehr Politiker, Großkonzerne, Gewerkschaften und Bürgerorganisationen über "Masterpläne" für den Übergang von einer Zivilisation in eine andere. Mit KMU-Verbänden und Arbeitnehmervertretern "sind wir dabei eine neue politische Bewegung zu schaffen, die weder links noch rechts ist", sagt Rifkin. "Unsere Arbeit ist 'work in progress', aber unsere Lernkurve ist steil und wir haben jetzt in groben Zügen auch ein ökonomisches Modell, um das alles umzusetzen. Die dritte industrielle Revolution beruht auf common sense."

Erderwärmung als Ausgangspunkt

Ein Ausgangspunkt Rifkins ist die vom Menschen verursachte Erderwärmung - eine Theorie, die von der großen Mehrheit der Wissenschafter unterstützt und in der Öffentlichkeit weitgehend akzeptiert wird. Die zweite Grundannahme Rifkins ist "Peak Oil" - die bis vor kurzem bewitzelte Meinung, dass der Produktionshöhepunkt bei Erdöl, das 40 Prozent der weltweiten Primärenergie stellt, bereits hinter uns liegt. Die Folge: Auf der aktuellen Energie-Versorgungsbasis ist kein (echtes) Wachstum mehr möglich.

Die Finanzkrise sei nur ein Nebenphänomen, das wirkliche Problem bestehe aber darin, dass 2008 die erste "Peak Oil"-Krise eingesetzt habe, die sich nun periodisch wiederholen werde, sagt Rifkin: "Jedesmal, wenn wir die Wirtschaft wieder auf ein Tempo wie vor 2008 bringen, wird der Ölpreis steigen und gleich wieder kollabieren. Wir befinden uns im Endgame der zweiten industriellen Revolution."

Rettung in der Not sieht Rifkin durch eine Revolutionierung der Energieversorgung und in der Schaffung eines intelligenten Energienetzes - Gebäude könnten so über Photovoltaik zu dezentralen Kraftwerken werden, die überschüssige Energie wieder in das Netz einspeisen bzw. in Wasserstoff speichern, lautet eine zentrale Überlegung der Denkergruppen um Rifkin. Einzelne "Pfeiler" des Konzepts wie das Potenzial der Wasserstoffwirtschaft sind unter Energiefachleuten freilich heftig umstritten.

"Grüne" Umsätze

An den Roundtables nehmen auch große Konzerne teil, die sich künftige "grüne" Umsätze erhoffen. Die EU müsse eine Billion Euro in neue und 600 Mrd. Euro in die Erhaltung alter Netze investieren, sagt Rifkin. Finanzieren will Rifkin diese Monster-Investitionen dadurch, dass während der nächsten 20 Jahre jährlich vier Prozent aller ohnedies zu tätigenden Investitionen in die Infrastrutkur der neuen industriellen Revolution fließen. Binnen 20 Jahren ließe sich so eine "jugendliche Infrastruktur" für die neue, kohlenstoffarme Welt erschaffen.

Für langfristig bedrohlicher als Peak Oil hält der Bestsellerautor Rifkin aber die Erderwärmung, wegen drohender "Rückkoppelungseffekte", die einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 6 Grad befürchten ließen.

Das Konzept der 3. industriellen Revolution soll nicht nur in Brüssel Unterstützung erhalten, sondern auch in wichtigen EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland, Spanien und seit kurzem Großbritannien. "Die Deutschen bewegen sich still, aber am schnellsten", sagt Rifkin. "Sie machen aus ihren Gebäuden Kraftwerke, setzen auf Energiespeicherung mittels Wasserstoff und investieren groß in die Netze. Kanzlerin Merkel räumt privatim ein, dass das (3. industrielle Revolution, Anm.) ihr 'Game Plan' ist." (APA)