Belgrad/Brüssel - Der Berichterstatter des Europarates zum mutmaßlichen Organhandel unmittelbar nach dem Kosovo-Krieg, Dick Marty, hat die Vorgangsweise des UNO-Tribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY), das sich vor Jahren mit diesem Problem befasst hatte, kritisiert. Das Tribunal beging nach Meinung Martys einen Fehler, als es nach Ermittlungen in der zentralalbanischen Ortschaft Rripe bei Burrel 2004 die gesammelten Beweise vernichtete.

Dies sei an keinem Gericht auf der Welt eine normale Vorgangsweise, meinte Marty in einem Gespräch mit der Belgrader Wochenzeitschrift „NIN", das die Tageszeitung „Blic" am heutigen Mittwoch vorabdruckte. Beweise würden nie vernichtet und schon gar nicht, wenn keine Verjährung eingetreten sei, sagte Marty. Beweise würden aufbewahrt, weil zu einem späteren Termin neue Beweise auftauchen könnten, die den alten eine andere Bedeutung geben könnten.
Das UNO-Tribunal hatte sich im Jahr 2004 mit Medienberichten über den Handel mit Organen von Hunderten Kosovo-Serben, aber auch -Albanern befasst, die nach dem Kosovo-Krieg (1998/99) entführt wurden. Ermittlungen wurde wegen Mangel an Beweisen allerdings nie eingeleitet, enthüllte die damalige Chefanklägerin Carla del Ponte vor Jahren in einem Buch. Später wurde bekannt, dass die damals gesammelten Beweise vernichtet wurden.

Problem des Zeugenschutzes

Marty, der Angehörige der früheren Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) beschuldigt, die gewaltsam für die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien kämpfte, wies gegenüber der Belgrader Zeitschrift auch auf das Problem des Zeugenschutzes hin. Im Kosovo gibt es kein entsprechendes Gesetz. Die Zeugen, auf die er sich in seinem Bericht gestützt habe, würden erst dann aussagen, wenn sie eine „absolute Garantie" erhalten haben, dass sie nicht nur während des Gerichtsverfahrens, sondern auch danach geschützt würden, sagte Marty.

Wegen Vernichtung von Beweisen dürfte sich das UNO-Tribunal laut Medienberichten demnächst auch mit einer Klage von Familienangehörigen der Opfer von Srebrenica auseinandersetzen. Etwa 1.000 Gegenstände, die den Opfern des Massakers in der ostbosnischen Muslim-Enklave vom Juli 1995 gehört hatten, wurden vom Haager Gericht ebenfalls vernichtet. Für so manchen Familienangehörigen waren gerade diese Gegenstände das Einzige, was sie an die Opfer erinnerte. Die Familienangehörigen der Opfer von Srebrenica beauftragten nun zwei britische Anwälte, eine Klage gegen das UNO-Tribunal vorzubereiten. Nach der Einnahme der UNO-Schutzzone töteten bosnisch-serbischen Truppen in Srebrenica etwa 8.000 Muslime.EU knüpft Untersuchung gegen Thaci an Beweise
Sprecherin: EULEX hat Marty zweimal kontaktiert

EU will Beweise sehen

In der Diskussion um eine mögliche Verstrickung des kosovarischen Ministerpräsidenten in den illegalen Organhandel will die Europäische Union weiter Beweise sehen. "Wir werden gegen jeden eine Untersuchung aufnehmen, wenn es ausreichende Beweise für die Annahme gibt, dass ernsthafte kriminelle Aktivitäten stattgefunden haben. Aber dafür brauchen wir zulässige Beweise vor Gericht", sagte Maja Kocijancic, Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton am Mittwoch in Brüssel.

Die EU-Rechtsstaatsmission im Kosovo (EULEX) habe bereits zwei Briefe an den Europarats-Berichterstatter Dick Marty geschickt, der die Vorwürfe gegen Thaci im Dezember aufgebracht hatte. EULEX habe um Beweise gebeten, die Kontakte würden fortgesetzt, sagte die Sprecherin Ashtons. Die Außenpolitikbeauftragte und die EU-Staaten unterstützen EULEX und würden in der Mission die kompetenteste Behörde sehen, um diese Frage zu behandeln.

Die EU habe zu diesem Fall einen aktiven Zugang, betonte die Sprecherin. "Wir nehmen alle Vorwürfe von Kriegsverbrechen und Organisierter Kriminalität extrem ernst. Der Kampf gegen alle Arten von Organisierter Kriminalität ist eine Priorität und eine strikte Verpflichtung für alle Westbalkanländer, einschließlich Kosovo."

Im Europarat haben Abgeordnete aus mehreren Staaten eine internationale Untersuchung zum mutmaßlichen illegalen Organhandel im Kosovo gefordert. Sie verwiesen am Dienstag auf Zeugenaussagen und Polizeiberichte, nach denen auch der erst kürzlich wiedergewählte Regierungschef des Kosovo, Hashim Thaci, und andere Führungsmitglieder der früheren kosovarischen Befreiungsarmee UCK in den Handel verwickelt waren. (APA)