Bürgerversammlung im Roma-Viertel ...

Foto: Markus Bey

... von Ipsala ...

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... am Grenzübergang nach Griechenland.

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Okey-Spieler in einem Café in Ipsala

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"Der Zaun ist eine Beleidigung der Türken": Coskun Molla, Anwalt in Edirne.

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Maßlos malerische Minarette mit Mond. Selimiye-Moschee, Edirne

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Drüben herrscht eine Art Caos calmo, hüben nur calmo: Traktorfahren, Okey spielen und natürlich Teeglas in den Fingern halten. Von dem Flüchtlingsstrom, der stetig, wenn derzeit auch ein wenig ausgedünnt, über die Landgrenze nach Griechenland fließt, merkt man auf der türkischen Seite nun wirklich nicht viel. Sie fahren nachts mit einem Lastwagen oder einem Bus auf den Acker und dann gehen die einfach rüber, weiß jemand im Rathaus von Yenikarpuzlu, ein Dorf, dessen Name („Neu-mit-Wassermelone") schon die schwer landwirtschaftliche Schlagseite Thrakiens zeigt. „Aber gesehen habe ich selbst noch keinen Immigranten."

In Yenikarpuzlu gibt es jetzt Videokameras auf Straßen und Plätzen und ebenso in Saaricali, einem anderen Dorf, das direkt an der Grenze zu Griechenland klebt, aber sie schwören Stein und Bein, dass das nichts mit den illegalen Immigranten zu tun hat, eher allgemein mit der besseren Sicherheit im Dorf. So oder so, die Kameras funktionieren ohnehin noch nicht. Im Gemeindebau von Saaricali sitzt ein Mann, der Jusuf Demir heißt und ein paar Thermoschuheinlagen unausgepackt auf seinem Schreibtisch hat. Einige Männer drücken sich um den Kanonenofen im Zimmer herum. Diese Geschichte mit den Flüchtlingen geht doch schon seit 15 Jahren, sagt Demir. Manchmal am Morgen, wenn das Wetter in der Nacht zuvor besonders schlecht war, säßen ein paar von ihnen auf den Bänken vor dem Gemeindehaus, weil sie sich verlaufen hätten. Dann bekommen sie eben einen Tee und eine Decke, und das ist es dann auch mit der Flüchtlingskatastrophe. Am Ortsausgang von Saaricali ist ein kleiner Stützpunkt des türkischen Militärs. Dass die Soldaten nachts während der Patrouillen wegschauen, wenn die kleinen Gruppen von Flüchtlingen über die Felder zum Fluss Evros laufen, war lange der Vorwurf von griechischer Seite. Erst in letzter Zeit, seit die Frontex-Truppe der EU aufmarschiert ist, reagieren die türkischen Grenzschützer angeblich mehr.

Noch ein Rathaus: In Ipsala, der Grenzstadt mit dem - legalen - Übergang nach Griechenland am unteren Ende des Evros, gibt es im Zimmer des Bürgermeisters immerhin einen Monitor mit 16 Bildern. Die Hälfte ist schwarz, die andere zeigt in der Tat Straßenkreuzungen. Ipsala hat in den vergangenen Wochen ebenfalls Videokameras vom Staat erhalten. Die illegalen Immigranten gibt es, keine Frage, doch niemand hat mit ihnen etwas zu tun, sagt der Bürgermeister. Mehmet Karagaz hat andere Sorgen.

Am Abend hält er eine Bürgerversammlung ab. Es ist genauer gesagt eine Stadtteilversammlung in einem Teehaus der Roma von Ipsala. Ein Viertel der 8000 Einwohner gehört dieser Minderheit an, und viele von ihnen haben über die Jahre Häuser ohne Genehmigung gebaut, auf Land, das ihnen nicht gehört. Das ist das Problem von Mehmet Karagaz. Jetzt werden sie von den Grundstückseigentümern verklagt, und wenn sie vor Gericht verlieren, was absehbar ist, dann muss Karagaz die Bulldozer losschicken und die Häuser der Roma abreißen lassen. Wer noch keine Gerichtsvorladung hat, soll sich schleunigst nachträglich um eine Baugenehmigung bemühen, rät der Bürgermeister nun. „Ich bin nicht hier, um eure Häuser kaputt zu machen. Ich bin hier, um zu verhindern, dass sie abgerissen werden", sagt Karagaz. „Bravo, der Bürgermeister!", ruft einer der Männer im Teehaus plötzlich, und alle anderen, die bisher finster geschwiegen haben, klatschen nun.

In Edirne aber, der türkischen Großstadt, 160 Kilometer weiter oben im Norden an der Grenze zu Griechenland, sitzt Coşkun Molla und kann sich nicht beruhigen. Es geht um den Sperrzaun, den die Griechen nun errichten wollen. Zwölfeinhalb Kilometer auf dem einzigen Landabschnitt der Grenze, wo der Evros auf türkischem Gebiet verläuft und Meriç heisst. Eine Beleidigung der Türken sei dieser Zaun und zutiefst unmenschlich, empört sich der Anwalt, der sich auch mit Menschenrechtsfällen befasst. Ja, sagt Molla, es sei richtig: In Edirne könne man jederzeit Flüchtlinge sehen, die in der Stadt herumlaufen mit legalen Touristenvisa und darauf warten, nach Griechenland hinüber zu kommen. „Aber warum wollen die Griechen ausgerechnet an der am stärksten kontrollierten Stelle der Grenze einen Zaun bauen? Die Menschen sind bereit zu sterben, nur um über diesen Fluss zu kommen. Sie werden die gefährlicheren Routen nehmen, wenn es den Zaun gibt."