Um zu verstehen, was General Edmund Entacher angestellt hat, lohnt ein Blick ins geltende Wehrrecht. Dort ist - teilweise mit Verfassungsbestimmungen - festgelegt, welche Aufgaben die Landesverteidigung hat, wie sie zu organisieren ist und wie Wehrpflichtige einzuberufen sind. Die Gesetze umzusetzen ist Aufgabe der Beamten. Entacher nimmt diese Aufgabe ernst - und er nimmt sie untadelig wahr.

Sein Minister Norbert Darabos und Bundeskanzler Werner Faymann stellen sich gegen das Gesetz, das die Wehrpflicht festschreibt. Und auch das entspricht ihrer Aufgabe: Als Politiker müssen sie daran arbeiten, dass Gesetze, die sie selber für nicht mehr richtig halten, geändert werden. Solange sie aber keine parlamentarische Mehrheit dafür haben, gilt weiter, was derzeit im Gesetz steht.

Damit dem Gesetz in der jeweils geltenden Fassung Genüge getan wird, genießen Beamte einen besonderen Schutz: Sie dürfen sich nicht von Ministern und sonstigen Polit-Funktionären herumkommandieren lassen, sondern müssen ihnen im Gegenteil die Stirn bieten, wenn ihnen Fehlentwicklungen auffallen. Das ist in den vergangenen Jahren nicht sehr oft passiert - zumeist haben sich Spitzenbeamte als geschmeidige Vollzieher des Ministerwillens erwiesen, nicht nur im Verteidigungsressort. Verstärkt wurde diese Tendenz durch die in den letzten Jahren geübte Praxis, Spitzenjobs nur noch befristet zu vergeben - wer um seine Wiederbestellung bangen muss, neigt zu Willfährigkeit gegenüber den Politikern.

Und dann ist da einer, der laut und deutlich widerspricht. General Entacher ist kein Anpassler - und er ist unbestritten einer der profiliertesten Militärexperten des Landes. Dass er klar für die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage ist, war keine Überraschung. Wer Entacher näher kennt, der kann auch nicht davon überrascht worden sein, dass er seine Meinung - verbindlich im Ton und fest in der Sache - auch ausspricht.

Man muss verstehen, dass Menschen wie Darabos und Faymann, denen in der Öffentlichkeit zu wenig Gestaltungskraft vorgeworfen wird, mit derartiger Kritik nicht umgehen können. Deshalb haben sie Entacher dem Druck des Boulevards geopfert.

Aber das ist nicht so einfach: Entacher hat - wie Bundespräsident Heinz Fischer als Oberbefehlshaber des Heeres weiß und ausdrücklich verteidigt - nur von seinem Bürgerrecht Gebrauch gemacht. Entacher fliegen nicht nur Solidaritätsadressen auf Facebook (und natürlich von seinen Kameraden) zu, ihm stehen auch die Gewerkschaft und Topjuristen zur Seite. Gut möglich, dass er seinen Job auf demRechtsweg zurückzuholen kann.

Das wäre ein gutes Signal an alle Beamten: Lasst euch nicht alles von den Politikern gefallen! Lasst euch nicht dafür missbrauchen, politisch erstellten Konzepten den Schein der Expertenmeinung zu geben! Stellt euch der Diskussion!

Tatsächlich muss die Diskussion um die Wehrpflicht jetzt erst recht geführt werden. Und da ist Expertise (wie sie eben Entacher und seine Kameraden haben) gefragt - und Gegenexpertise, die von Faymann und Darabos noch nicht in entsprechender Weise vorgelegt wurde. Es ist ja nicht gesagt, dass Entacher mit dem Festhalten an der Wehrpflicht recht hat. Aber dass Darabos mit der Absetzung des Generals unrecht hat, ist ziemlich wahrscheinlich. (Conrad Seidl, DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2011)