Ein zweites Tunis bahnt sich in Albaniens Hauptstadt Tirana, wo am Freitag drei Demonstranten erschossen wurden, nicht an. Es ist viel schlimmer: Die Demokratie, die die Tunesier sich erkämpfen, haben die Albaner schon. Es kann nur niemand etwas mit ihr anfangen.

Seit dem Ende der brutalen kommunistischen Diktatur stehen sich in Albanien zwei Parteien in unversöhnlichem Hass gegenüber: die "Demokraten" und die "Sozialisten". Programmatische Unterschiede zwischen beiden sind kaum auszumachen. Du oder ich - das ist die einzige Frage, um die sie streiten. Ein Verdrängungswettbewerb. Kein Wahlsieg seit 1992, den die jeweils unterlegene Partei anstandslos anerkannt hätte - und keine Wahl, die nicht irgendwie manipuliert worden wäre.

Die Korruption im Lande, gegen die in diesen Tagen so gewalttätig demonstriert wird, ist bloß ein willkommener Anlass für eine neue Runde im permanenten Endkampf. Doch ein Machtwechsel wird dem Problem nicht beikommen, denn als die sozialistische Opposition noch an der Macht war, ging es nicht weniger korrupt zu. Neu ist nur die Dreistigkeit, mit der die jetzige, "demokratische" Mehrheit ihre eigene Korruption leugnet. In Wahrheit ist die Todfeindschaft der Parteien kein Mittel gegen die Korruption - sie ist vielmehr ihr Humus: Man muss schon deshalb Aufträge und Positionen an Parteifreunde vergeben, weil sonst der Teufel höchstpersönlich zum Zuge käme. (Norbert Mappes-Niediek, STANDARD-Printausgabe, 24.01.2011)