Joseph Roth, "Juden auf Wanderschaft. Illustrierte Ausgabe". € 29,90 / 144 Seiten. Christian Brandstätter Verlag, Wien 2010

Foto: Brandstätter Verlag

Im Vorwort der Erstpublikation des Essays "Juden auf Wanderschaft" aus dem Jahr 1927 hegte der Dichter und Journalist Joseph Roth "die törichte Hoffnung, dass es noch Leser gibt, vor denen man die Ostjuden nicht zu verteidigen braucht; Leser, die Achtung haben vor Schmerz, menschlicher Größe und vor dem Schmutz, der überall das Leid begleitet." Intention seines Berichts sei weder Beifall, Zustimmung noch Widerspruch und Kritik.

Joseph Roth, der sensible Chronist untergehender Welten, dessen Stil auch in diesem Opus zwischen journalistischer Präzision und literarischer Melancholie oszilliert, porträtierte jüdische Auswanderer, denen "der Westen Freiheit, die Möglichkeit zu arbeiten und seine Talente zu entfalten, Gerechtigkeit und autonome Herrschaft des Geistes" bedeutete. Mittels seiner klaren Sprachkunst beschreibt er pointiert das Wechselspiel von Traum und Wirklichkeit, Eigenheit und Anpassung, Assimilation und Separation, friedvollem Alltag und gewalttätigen Pogromen, Flucht und selbstgewähltem Exil sowie gesellschaftlichen Metamorphosen in Form eines Vexierspiegels.

Der Wiener Verleger Christian Brandstätter hat fast neun Jahrzehnte später dem dokumentarischen Text zeitgenössische, archaische Fotos aus internationalen Archiven zur Seite gestellt. Lebendig werden so ostgalizische Schtetl, die Wiener Leopoldstadt alias Mazzesinsel, die New Yorker Lower East Side, jüdische Viertel in Paris, Amsterdam, Moskau und Berlin. Pfade des freiwilligen Exodus, Wege der Flucht, verbunden mit Hoffnungen auf eine bessere Welt. Das wundersame an der neuen "Illustrierten Ausgabe" ist, dass sie wirkt, als wäre sie von jeher so geplant gewesen: ein seltenes, bibliophiles Kleinod, eine gelungene Symbiose aus Wort und Bild. (Gregor Auenhammer / DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.1.2011)