Bregenz - Zwischen Gressoney im Aostatal und dem Kleinwalsertal in Vorarlberg liegen 300 Kilometer Luftlinie und 150 Walsersiedlungen. Die Stars sind Lech, Zermatt, Davos, Arosa. Die Walserdörfer wurden zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert von Menschen, die aus dem Walliser Goms auszogen, errichtet. Was sie dazu bewegt hat, rundum in hochalpinen Lagen von Italien, Frankreich und Österreich ihre Dörfer und Weiler in unwirtliche Steilhänge zu setzen, kann mangels schriftlicher Zeugnisse nur vermutet werden. Die Walserforschung nennt mehrere mögliche Gründe für die Wanderbewegung: Überbevölkerung, das Land und die Nahrungsmittel wurden knapp.

Krankheiten? Klimawandel?

Im Wallis soll es vor 700 Jahren sehr trocken gewesen sein. Naturkatastrophen - wäre kein Wunder, die Walser bauen und bauten bevorzugt in Lawinenhängen. Galtür beispielsweise ist eine Walsergemeinde. Vielleicht war es auch Pioniergeist, der sie Höhenlagen erobern ließ, die zuvor niemand bewohnt hatte. Aus Urkunden wie jener über Erblehen lässt sich schließen, dass weltlicher und kirchlicher Adel die Zuwanderer gern gesehen haben. Die Herren schickten die neuen Untertanen hinauf ins Gebirge, ließen sie roden und wirtschaften, bauten damit die eigenen Herrschaften aus und hatten neue Männer für den Kriegsdienst. Als Belohnung für das harte Los zwischen Lawinen und Muren entließ man die Walser aus der Leibeigenschaft.

"Wird wohl so gewesen sein wie heute", sinniert Dietmar Nigsch, nach Wien ausgewanderter Blonser: "Die Migranten mussten die Sauarbeit machen." Auf die Frage, ob es eine Walserkultur, einende Besonderheiten gäbe, sagt Nigsch "Einend ist sicher die Sprache, ein höchst alemannischer Dialekt und ein gewisses Minderheitenbewusstsein." Und augenzwinkernd: "Besonders ist, dass sie über allen Höhen angesiedelt und trittsicher sind. Auch was die Geschäftstüchtigkeit betrifft." Wo sie früher ihre Vorsäß- und Almhütten gebaut hätten, bauten sie heute Seilbahnen und Lifte. 

Nachhaltige Wirtschaft

Der britische Künstler Antony Gormley zollt den Walsern der Vergangenheit uneingeschränkt Bewunderung. Sie hätten Land, das sonst keiner wollte, besiedelt, es nachhaltig bewirtschaftet. Autarke Gesellschaften wie jene könnten Vorbild für die Zukunft sein. Gormley hat den Großteil seiner 100 Eisenmänner, die auf 150 Quadratmetern in 2039 Meter Höhe die Installation "Horizon Field" bilden, im Walsergebiet zwischen Hochtannberg und Stuben platziert. Da stehen sie nun, je nach Einstellung des Betrachters, als Mahner, Beschützer, Wegweiser oder "moderne Kunscht" und damit überflüssig. Auf jeden Fall den Launen der Natur ausgesetzt - wie die Walsersiedlungen. (Jutta Berger, DER STANDARD Printausgabe, 22.1.2011)