Tschetschenen-Prozess im Wiener Straflandesgericht. Auch in Abwesenheit der Angeklagten wollte sich ein Hauptzeuge der Anklage am Mittwoch an nichts mehr erinnern.

Foto: Heribert Corn

Wien - "Haben Sie Angst, dass ihren Verwandten in Tschetschenien etwas passieren könnte, wenn Sie uns die Wahrheit sagen?", fragt Richter Friedrich Forsthuber. Der Zeuge murmelt: "Das könnte sein." Es ist das einzige Mal, dass der Mann bestätigt, was viele imGroßen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts denken. Doch sonst bleibt er bei der neuen Linie: Er habe rein gar nichts gewusst.

Doch die Schwägerin des Zeugen erinnert sich an ganz andere Aussagen - sie ist die Witwe von Umar Israilow. Ihr Mann ist im Jänner 2009 in Wien auf offener Straße erschossen worden.

Ihr Schwager habe bereits im Oktober 2008 Umar Israilow angerufen und ihn vor seinem Nachbarn Otto K. gewarnt. Jener soll laut Anklage den Anschlag auf Israilow organisiert haben. Israilow hatte gegen den tschetschenischen Präsidenten Kadyrow wegen Menschenrechtsverletzungen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Anzeige erstattet.

Otto K. auf Foto mit Kadyrow

Laut der Witwe habe der Schwager damals, 2008, Israilow berichtet, dass Otto K. des Öfteren von Menschen aus Tschetschenien Besuch bekomme. Und: Dass Otto K. ein Bild herumzeige, auf dem er gemeinsam mit Kadyrow zu sehen sei.

"Ich habe davon erst nach dem Mord an Israilow erfahren" , sagt nun der Schwager als Zeuge vor Gericht. So etwas habe er "nicht gesagt, weil ich es nicht wusste." An dieser Aussage ändert auch ein mehrfaches Nachfragen durch Richter Forsthuber nichts.

Verfahren wegen falscher Zeugenaussage droht

Und dann fragt Staatsanwalt Leopold Bien den Zeugen: Ob er ihm vorlesen solle, was er als Gelegenheitsinformant gegenüber der Polizei gesagt habe - "oder fangen wir doch noch einmal von vorne an?" Denn der Schwager hatte kurz nach dem Tod Israilows Polizeibeamten berichtet: Er habe zwei Monate vor dem Anschlag Israilow informiert, dass Otto K. von Tschetschenen besucht werde, die im Auftrag Kadyrows Personen zurückbringen sollen, die in Tschetschenien gesucht werden. Und Israilow habe ihm damals gesagt: "Die sind sicher wegen mir in Österreich."

"Ich habe solche Aussagen nicht getätigt" , sagt der Schwager jetzt vor Gericht. Ihm droht nun ein Verfahren wegen falscher Zeugenaussage. "Ich verstehe ihn", sagt die Witwe Israilows. "Meine Verwandten leben alle in Europa. Die Verwandten meines Schwagers sind in Tschetschenien."

An Tschetschenien erging laut Richter Forsthuber inzwischen ein Rechtshilfe-Ansuchen. Es geht um die Frage, ob unter anderen Präsident Kadyrow, aber auch der mutmaßliche Israilow-Mörder Letscha B. bereit wären, per Videoschaltung auszusagen. Letscha B. ist inzwischen Milizionär und wird derzeit in einem Spital in Grosny behandelt. (Roman David-Freihsl, DER STANDARD; Printausgabe, 20.1.2011)

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