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Hymnen, Ehrengarde und Böllerschüsse für den hohen Gast aus China: Obama ließ für Hu in Washington das volle protokollarische Programm auffahren.

Foto: Reuters/Larry Downing

Der US-Präsident und sein chinesischer Amtskollege Hu Jintao tasten einander in Washington vorsichtig ab. Die Supermacht und ihr heranwachsender Konkurrent müssen erst einen gemeinsamen Modus Vivendi finden.

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Es mag ein böses Omen sein, dass sich Barack Obama und Hu Jintao ausgerechnet im Old Family Dining Room zum ersten privaten Dinner trafen.

Die letzten Staatsgäste, die dort gespeist hatten, waren im September die Streithähne des Nahen Ostens gewesen, der Israeli Benjamin Netanjahu und der Palästinenser Mahmud Abbas. Dass sich dennoch nichts bewegt im Friedensprozess, lässt die harmonische Szene aus dem kleinsten Esszimmer des Weißen Hauses im Nachhinein wie reines Theater aussehen. Schöne Bilder gibt es auch jetzt. Darauf wirken die Präsidenten Chinas und der USA wie zwei alte Freunde, die sich wirklich herzlich freuen über das Wiedersehen im Kerzenschein.

Es ist der ganz große Bahnhof, den Obama bietet. Dass Reisende aus dem Reich der Mitte großen Wert auf Status und Protokoll legen, hat man in Washington inzwischen gelernt. 2006 musste sich Hu Jintao noch mit einem Mittagessen begnügen: George W. Bush gönnte ihm nur einen "offiziellen Besuch", keine Staatsvisite mit allem Lametta. Der Nachfolger des Texaners dagegen zieht alle Register. Salutschüsse aus 21 Kanonen, ein feierliches Bankett im großen Kreis, zum Auftakt ein Abendessen in intimer Atmosphäre. Joe Biden, der Vizepräsident, wurde extra hinausbeordert zur Luftwaffenbasis Andrews, wo Hu Montag nach der Landung über den roten Teppich schritt. Auch das eine ungewöhnliche Geste.

Nur können Pomp und Gloria nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Klima zusehends rauer wird. Nach einer Umfrage von ABC News verstehen 61 Prozent der Amerikaner China als Bedrohung. Im Kongress basteln zwei Senatoren, der Demokrat Sherrod Brown und die Republikanerin Olympia Snowe, an einem Gesetzentwurf, der Handelssanktionen bedeuten kann. Falls Peking seine Währung weiter unterbewertet und sich damit Exportvorteile verschafft, sollen Strafzölle folgen. Das Business wiederum drängt die Volksrepublik, ihre Märkte stärker zu öffnen. Am Mittwoch wollten Unternehmer wie Steve Ballmer (Microsoft), Jeff Immelt (General Electric) und Jim McNerney (Boeing) am runden Tisch mit Hu ihre Beschwerden loswerden. Immelt klagte neulich lautstark darüber, dass es ausländischen Firmen immer schwerer falle, in China Geschäfte zu machen (s. Seite 3).

Verbaler Drahtseilakt

Der Republikaner Chris Smith, im Repräsentantenhaus Chef eines Unterausschusses für Menschenrechte, fordert Obama auf, seinem Amtskollegen die Leviten zu lesen. Es wäre "nahezu undenkbar", würde er als Nobelpreisträger einen Staatschef empfangen, der einen anderen Nobelpreisträger (Liu Xiaobo) einsperrt, und dabei nicht deutlich vernehmbar die Freilassung des Gefangenen verlangen. Eine Pressekonferenz der beiden Präsidenten, angesetzt für Mittwochabend, könnte denn auch zum verbalen Drahtseilakt werden. Obama hatte darauf gedrängt, nachdem vor 14 Monaten bei seinem Besuch keine Fragen zugelassen waren.

Dann ist da noch der Wirbel um Amy Chua. Die Professorin der Eliteuniversität Yale hat ein Buch geschrieben, in dem sie polemisch aufs Korn nimmt, wie Eltern in New York oder Seattle ihre Kinder erziehen. Das ständige Loben noch für die selbstverständlichste Leistung lasse den Nachwuchs nur bequem werden. Bei ihr dagegen durften die Kids weder fernsehen noch Videospiele spielen. Als eine Tochter beim Mathe-Wettbewerb nur auf den zweiten Platz kam, musste sie in einer Nacht zweitausend Matheaufgaben lösen. Die "Schlachtenhymne einer Tigermutter", so heißt der Erziehungsberater, hat einen Sturm der Entrüstung entfacht. Zugleich trifft der Titel einen Nerv, rührt er doch an die unterschwellige Furcht der US-Nation vor dem Abstieg in die zweite Liga. (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2011)