Ein schmieriger Ausbrecherkönig als letzte Rettung für einen braven College-Dozenten mit Fluchtabsichten: Liam Neeson (li.) und Russell Crowe in Paul Haggis' jüngstem Thriller.

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Paul Haggis' Thriller ist dramaturgisch gewandt, in seiner Parteinahme jedoch ambivalent.

Wien – Nur für einen einzigen Augenblick scheint der Mann von seiner Überzeugung abzuweichen. Es ist jener Moment, als seine Frau seinen Glauben an ihre Unschuld infrage stellt: Er habe sie nie gefragt, ob sie diesen Mord tatsächlich nicht begangen habe, meint die seit fast drei Jahren im Gefängnis auf ihr Urteil Wartende. Doch für John Brennan zählt mehr als die bloße Unschuldsvermutung. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. "Ich werde nie glauben, dass du es getan hast", entgegnet Russell Crowe als untersetzter Ehemann, obwohl alle Indizien und jede Vernunft dagegen sprechen. "Niemals. Das hier wird nicht dein Leben sein."

Das wäre es aber, wenn Lara (Elizabeth Banks) tatsächlich ihre Chefin nach einem Streit in einer Parkgarage erschlagen haben sollte. Am nächsten Morgen stürmt die Polizei das traute Heim, lässt einen erschütterten Ehemann und einen traumatisierten kleinen Buben zurück. In dieser ersten Viertelstunde des Films, auf die 72 Stunden – The Next Three Days das sich lange hinstreckende Verfahren zusammenzieht, erkennt man deutlich die dramaturgische Gewandtheit und Eloquenz des Drehbuchautors Paul Haggis, die Ereignisse in Verbindung bringt und gleichzeitig mit Auslassungen für Irritation sorgt.

Erst verspätet wird man über den Grund von Laras Verhaftung aufgeklärt, sieht man stattdessen Vater und Sohn über eine trostlose Brücke zum Gefängnis von Pittsburgh wandern, kann man beobachten, wie der Sohn die Liebkosungen der Mutter stumm zurückweist oder sich die Eheleute plötzlich nur noch durch die ominöse Scheibe unterhalten dürfen.

Es ist diese elliptische Erzählweise, die auch noch lange Zeit die Spannung aufrechterhält, nachdem John Brennan den Entschluss gefasst hat, seine Frau zu befreien. Das Geheimnis muss ein solches bleiben, denn es gibt keine Komplizen oder Freunde, die der brave College-Dozent einweihen könnte.

Ein schmieriger Liam Neeson gibt als Ausbrecherkönig hilfreiche Tipps, doch Brennans Plan gewinnt nur an der leeren Wand des Einfamilienhauses Form: Pläne, Uhrzeiten, Routen und vor allem die Auflistung der Kosten werden zum notwendigen Sammelsurium eines Besessenen und bestimmen dessen Tagesrhythmus, der nur von Besuchen am Spielplatz unterbrochen wird. Auch hier widersteht Brennan der Versuchung in Person einer attraktiven Alleinerzieherin, mit der ein anderes Leben möglich wäre. Der Biedermann ist noch nicht am Ziel, das erkennt auch seine Frau: "You are too perfect."

Zweck heiligt Mittel

Genau darin liegt auch die Problematik des Films, den Haggis basierend auf dem französischen Krimi Pour elle entwickelt: Der unbedingte Glaube an die eigene Wahrheit beherrscht nicht nur Brennans Handeln, sondern infiltriert die Erzählung, die sich vorbehaltlos auf die Seite ihres Protagonisten schlägt. So trifft etwa der tödlich endende Raubüberfall, den Brennan begehen muss, um Fluchtgeld aufzustellen, nicht nur seiner Meinung nach die Richtigen. Auch der Moralist Haggis lässt keinen Zweifel daran, dass der Zweck die Mittel heiligt.

Das macht die Drehbücher Haggis', nicht zufällig langjähriger Autor für Clint Eastwood, seit seinem oscarprämierten Debüt L.A. Crash so ambivalent und stets zu einer Gratwanderung. Die Auseinandersetzung des sich moralisch im Recht meinenden Individuums mit einem ungreifbaren Gegner in Form eines starren Systems benötigt sich selbst prüfende Überzeugungstäter. So wie Tommy Lee Jones als Veteran in In the Valley of Elah angesichts seines toten Sohnes an seinem Patriotismus zweifelt und Clint Eastwood in Million Dollar Baby die lebenserhaltende und doch unbarmherzige Maschine abschaltet.

Für The Next Three Days kann Haggis aus diesem Dilemma jedoch keinen Ausweg finden: Die Flucht der Kleinfamilie kann nur scheitern, wenn sie den Glauben an sich selbst verliert – und das wäre ein schlimmeres Eingeständnis von Schuld als jenes eines möglichen Verbrechens. (Michael Pekler, DER STANDARD – Printausgabe, 20. Jänner 2011)