Edwyn Collins beschnuppert im Winter 1995 in der Szene Wien die Monitorbox, später surft er darauf.

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Edwyn Collins heute.

Foto: Heavenly Rec.

Wann die Infektion begonnen hat, weiß ich nicht mehr so genau. Irgendwann in den 80ern hat Freund Stone (jugendliche Tendenz zu kühlen Spitznamen in full force!) ein Album vorbeigebracht, auf dem eine Type drauf war, die wie eine Mischung aus Max Headroom (den es damals, 1984, noch gar nicht gegeben hat) und einem Albino-Elvis ausgesehen hat.

Das war die vierte und letzte Platte von Orange Juice. Nicht gerade ihre beste, aber egal. Über dieses Album erschloss sich mir Stück um Stück das Universum Edwyn Collins. Die Infektion wurde zusätzlich genährt von der Ö3-Musicbox, der das schottische Postcard-Label und Edwyns Labelkollegen wie The Go-Betweens oder Aztec Camera Mission war.

Den ersten Soloauftritt des immer lippenfeuchten Schotten beim Big Beat Festival im Messepalast (dort, wo heute das MQ ist) habe ich zwar nicht miterlebt, dutzende Erzählungen und Anekdoten davon haben es jedoch geschafft, dass ich mich bald so fühlte, als sei ich in der ersten Reihe gestanden, als Tex Rubinowitz seiner Liebe mithilfe eines aufblasbaren Delphins Ausdruck verliehen hat. (siehe Postscriptum am Ende des Texts!) So ein Nichtfisch zierte das Debüt der Band, das grandiose "You Can't Hide Your Love Forever".

Spätere Konzerte in der Szene Wien sowie im – bin mir grad nimmer sicher – Metropol(?) waren kleine Kirchgänge, eingefädelt und als Live-Dokumente festgehalten von Fan-Boy Werner Geier. Collins war damals mit einer eher bescheidenen Solokarriere im Wahrnehmungskeller des Pop gelandet, auch wenn sein Solodebüt "Hope and Despair" alles andere als schlecht war. Bloß ein wenig aus der Mode, zeitlos.

Doch 200, 300 Leute pilgerten immer zu Edwyn und erfreuten sich an seiner tropfenden Unterlippe, die mit zunehmender Euphorie und anschwellendem Bierkonsum nicht weniger glänzte. In solchem Zustand versuchte er dann während der Songs auf den Monitorboxen zu surfen und verlor jedes Mal fast die Balance. Alle lachten, alle liebten Edwyn, die Konzerte dauerten – zart verklärt – ewig.

1994 veröffentlichte er dann "Gorgeous George". Mangels Labels hatte er Setanta gegründet und das Album selbst herausgebracht. Darauf befand sich "A Girl Like You", das sich im Laufe der nächsten eineinhalb Jahre als kleiner Welt-Hit entpuppte, der Edwyns Karriere aus der Talsohle holte und ihn zu einem wohlhabenden Mann machte.

Erzählt hat er mir von diesem schleichenden Welt-Hit drei Jahre später. Und von dem Studio, das er sich eingerichtet hatte, von all den 70er-Jahre Synthies dort, den alten Gitarren, von seiner Soul-Liebe, Al Green und, und, und.

Damals beging das Chelsea sein zehnjähriges Jubiläum und Othmar, der Chef, ließ Collins als DJ einfliegen. Vorab machte ich ein Interview mit ihm am Telefon, sein Album "I'm Not Following You" war gerade erschienen, das ihm mit "Magic Piper (Of Love)" einen Folgehit bescherte und der im ersten Austin Powers Film Sixties-Charme versprühte.

Bevor Edwyn auflegte, waren wir mit Othmar im Edelweinhaus auf der Josefstätter essen, parlierten Englisch und lauschten Schottisch. War lustig. Edwyn so charming und offenherzig wie man ihn sich vorstellte, dazwischen Zynismus und scharfe Meinung in Sachen Musik: Fockin' dis, fockin' dät.

Erst später, mit zwei, drei Damenspitzen im System, vergaß er ein wenig auf seine Kinderstube und verbreitete im Chelsea fragwürdige schottische Pub-Folkore. Schnaps, depperter. Schnäps, wie der Schotte sagt. Der verhinderte dann auch fürs Hier und Jetzt detailliertere Erinnerungen an diese Nacht.

Erinnern kann auch er sich daran nicht mehr. An das nicht, und an vieles andere auch nicht. Denn 2005 hatte er eine schwere Hirnblutung, die ihn an den Rand des Gemüse-Zustands brachte. Über seine Genesung gibt es die rührende Doku "Edwyn Collins: Home Again" , die auf Youtube in mehreren Teilen nachzusehen ist.

Wundersamerweise und wegen der treibenden Kraft seiner Herzdame Grace Maxwell arbeitete sich Collins wieder zurück ins Leben. "Home Again", das Album, stellte er 2007 fertig (begonnen hatte er es vor seiner Krankheit) und im Vorjahr erschien das superbe "Losing Sleep".

Darauf helfen ihm alte und neue Freunde wie Alex Kapranos von Franz Ferdinand, Sex Pistole Paul Cook, Roddy Frame (Aztec Camera) Johnny Marr (The Smiths) oder Romeo Stodart (Magic Numbers). Denn Edwyn kann zwar wieder singen, Gitarre spielen haut aber noch nicht richtig hin.

Aber das reicht, um wieder auf der Bühne zu stehen; oder zu sitzen – auch in Österreich. Ende Februar wird Edwyn Collins wieder heimische Bühnen mit seinem Speichel benetzen. Bring your Dolphins!

Am 26. 2. im Wiener Porgy & Bess, am 27. 2. im Orpheum in Graz, am 28. 2. im Posthof Linz.

Man wird gerührt sein dürfen.

PS Anekdoten sind stille Post auf laut, weshalb es hier einer historischen Richtigstellung bedarf, die meine langjährige Bekannte Lisa Stecher völlig zurecht begehrt. Und die geht so:

"Herr Fluch, einmal hatte ich eine gute Idee, die ich abertausendmal erzählt und erzählt habe, damals, als ich mit meinen Freundinnen kreischend aus Begeisterung den aufblasbaren Delfin Edwyn Collins zuwarf und was erfahre ich nun! Tex soll geworfen haben? Nein, wir waren es, die Damen aus der ersten Reihe, darauf muss ich jetzt bestehen, auch wenn ich eine liebend Freundin zu Tex war/bin."

Ehre, wem Ehre gebührt.

(Karl Fluch, 19.1.2011, derStandard.at)