Landeshauptmann Erwin Pröll will mehr Steuerhoheit für Niederösterreich und kann sich ein Mehrheitswahlrecht mit gewissen Vorbedingungen vorstellen.

Foto: Der Standard/Cremer

"Zwischen den Begriffen Diskussion und Streit gibt es schon noch einen Unterschied"

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Standard: Was bedeutet die von Minister Norbert Darabos geplante Wehrrechtsreform für Niederösterreich?

Pröll: Aus niederösterreichischer Sicht stehen folgende Ziele im Mittelpunkt: Funktionstüchtigkeit in Katastrophenfällen; wir wissen, wovon wir reden, weil wir in den letzten Jahren sehr hart geprüft wurden durch Hochwasserkatastrophen - da hat das Bundesheer eine perfekte Leistung hingelegt. Es wäre für mich undenkbar, auf diesen Einsatz verzichten zu müssen. Und zweitens die gesamte Frage des Zivildienstes. Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt, der eine pädagogische Komponente in sich hat. Jungen Menschen auch eine kleine Leistung für den eigenen Staat abzuverlangen. Das bedeutet natürlich auch eine gewisse Bindung an den Staat und an die eigene Heimat. Der letzte Punkt ist der finanzielle: Da habe ich die Befürchtung, dass für ein Berufsheer immer weniger Geld zur Verfügung steht - und dann wird es im Ernstfall funktionsuntüchtig. Man darf das größere Ganze nicht aus den Augen verlieren.

Standard: Es ist kennzeichnend für die Reformdiskussionen der letzten Jahre, dass man zunehmend nur Einzelaspekte wie die Wehrpflicht anspricht. Auch Sie sind nicht ganz frei davon: Sie haben sich in der Bildungsdiskussion auf das Detail konzentriert, ob Lehrer Landessache sein sollen. Es gelingt nicht mehr, Grundsätze herauszuarbeiten und zu sagen, was das eigentliche Konzept ist. Warum ist das so?

Pröll: Weil von den Verantwortungsträgern einfach zu früh auf die Öffentlichkeitsarbeit geschielt wird, und das zu einem Zeitpunkt, wo man sich in Wahrheit selber nicht über Grundsatzfragen klar ist. Das ist auch eine Erscheinung in einer politischen Konstellation, wo in einer Koalition zwei Partner ungefähr gleichauf sind und sich damit dem Zwang ausgesetzt sehen, den anderen in der Öffentlichkeit zu übertrumpfen. Das halte ich für eine sehr gefährliche Entwicklung.

Standard: Dem wäre mit einem Mehrheitswahlrecht abgeholfen. Würde das zur jetzigen politischen Situation passen?

Pröll: Natürlich ist das eine Variante, die in Wahrheit in jede politische Situation passen würde. Ein Mehrheitswahlrecht hat wie alles im Leben mehrere Seiten. Die positive Seite ist, dass klarere Entscheidungsstrukturen geschaffen werden. Allerdings braucht es einen Ausgleich - ein stabilisierendes Element, das extreme Hakenschläge in der staatspolitischen Entwicklung verhindert. Ein Mehrheitswahlrecht verlangt nach einem Verwaltungsapparat, der die Kontinuität wahrt.

Standard: Diese Kontinuität wird aber seit Jahren infrage gestellt. Beamte werden durch Vertragsbedienstete ersetzt und Spitzenjobs befristet - da muss sich ein Sektionschef doch mit der politischen Führung gutstellen, um wiederbestellt zu werden?

Pröll: Es geht nicht immer nur um die Zahl der Beamten, sondern auch darum, dass in entscheidenden Verwaltungspositionen Kontinuität durch Personen gewahrt ist, die sich gegenüber politischen Entscheidungsträgern Objektivität bewahren können - dafür braucht es eine entsprechende rechtliche Absicherung.

Standard: Beamte, die das Staatswohl über alles andere stellen?

Pröll: So ist es. Man sieht gerade eben im Bundesheer, dass das möglich ist. Weil hohe Offiziere in der Diskussion mutig genug sind, um sich auch entgegen der Meinung politischer Verantwortungsträger zu äußern.

Standard: Vor uns liegen zwei Jahre ohne Wahl. Das wäre Gelegenheit, alle Reformfragen auszustreiten. Und am Schluss gäbe es durchgreifende Reformen. Trauen Sie das der Koalition zu?

Pröll: Ich möchte das Wort Streit vermeiden. Denn zwischen den Begriffen Diskussion und Streit gibt es schon noch einen Unterschied, die politische Kultur ist ohnehin etwas durcheinandergeraten. Gerade bei der Heeresreform sollte man sich vernünftig mit Sachargumenten auseinandersetzen - die können ohne weiteres auch pointierter vorgetragen werden. Aber ich hoffe, dass die freundschaftliche Dialogfähigkeit, die offensichtlich zwischen Bundeskanzler und Vizekanzler am Beginn dieser Koalition vorhanden war, wieder Einzug hält und vieles von dem, was als Streit ausgelegt wurde, beseitigt werden kann.

Standard: Bei aller Freundschaftlichkeit: In der Bundesstaatsreform bringen die beiden wenig weiter - und viele meinen, dass Sie persönlich der Bremser sind. Das hat auch eine Standard-Umfrage ergeben...

Pröll: Das ist mit der Funktion des Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz verknüpft gewesen. Wobei ich nicht mehr und nicht weniger reformfreudig bin als der Großteil der anderen Kollegen. Wir haben im letzten halben Jahr im Zusammenhang mit dem Stabilitätspakt sehr viel weitergebracht. Wenn nicht da das eine oder andere Bundesland zu starke finanzielle Problemfelder gehabt hätte, wäre es möglich gewesen, das noch im letzten halben Jahr zu unterzeichnen. Wir sind sehr, sehr weit gekommen bei der Neugestaltung des Förderwesens in der Pflege. Das wird hoffentlich in diesem Halbjahr finalisiert. Wir sind sehr viel weitergekommen in der Frage der Entrümpelung der Gesetzesmaterien, um auf Verwaltungsebene unnütze Doubletten beseitigen zu können.

Standard: Wie viele Gesetze kann man da abschaffen?

Pröll: Insgesamt habe ich als Vorsitzender eine Liste von 335 Gesetzesmaterien erstellt, die durchforstet werden. Der erste Teil von 38 ist bereits bei den Budgetbegleitgesetzen beschlossen worden, der nächste Schritt wird sehr tief gehen im Zusammenhang mit dem Umwelt- und Gewerberecht. Hier haben wir auch einen Fahrplan erstellt, der in diesem Jahr 2011 weiterverfolgt wird.

Standard: Das Grundproblem ist doch, dass die Länder im Wettbewerb stehen. Der Vorwurf lautet, dass das womöglich zulasten des Staatsganzen gehen. Das eine Land fördert mehr die Familien, das andere mehr den Wohnbau. Sie nennen das "Bürgernähe", und die wollen Sie nicht aufgeben?

Pröll: Es gibt viele, die sagen, die Länder sollen eigene Steuerhoheit übernehmen. Ich sage: Ich scheue eine derartige Diskussion überhaupt nicht, denn je stärker ein Bundesland in der wirtschaftlichen Dynamik ist, desto stärker ist es innerhalb des Staatsgefüges. Ich bin überzeugt, dass man ein bürgernahes Staatsgefüge nur haben kann, wenn man die Eigenarten der Regionen berücksichtigt.

Standard: Sie würden sich nicht scheuen, den Ländern Steuerhoheit zu geben?

Pröll: Ja, das ist ein ewiger Kritikpunkt: Viele werfen uns vor, dass die Länder das Geld ausgeben, das der Bund einhebt. Aber: Die Gründer der Republik haben sich schon etwas gedacht, als sie den Finanzausgleich konstruiert haben. Wir Niederösterreicher würden uns nicht scheuen, mehr Steuerhoheit zu übernehmen. Wir hatten sogar schon das eine oder andere Mal einen Ansatzpunkt bei der Strommastensteuer oder der Schotterabgabe. Aber die hat uns die Bundesregierung unterbunden. Ich könnte mir vorstellen, dass es ein Reformschritt sein könnte, dass die Bundesländer eine entsprechende finanzielle Gestion für sich verfügbar haben.

Standard: Wäre Niederösterreich dann ein Hochsteuerland oder ein Niedrigsteuerland?

Pröll: Weder noch - aber wir würden etwa mit Blick auf die Umwelt zusätzliches Geld generieren. (Conrad Seidl, DER STANDARD, Printausgabe, 19.1.2011)