Wien - Auf den allerersten Blick gehört Ulrike Syhas episodisches Globalisierungsdrama Fracht (Nautisches Denken I-IV) in die Lade mit den "Verlustanzeigen". Vier Menschen stranden im Theater Drachengasse auf einem anonymen Flughafen.

Das "Transit"-Schild markiert bereits die Auflösung jedes festen Figurenverzeichnisses: Menschen werden nur noch durch ihre Funktionszuschreibungen bestimmt. Bestenfalls ist jemand "Unternehmensberater": Dann kann er seine privaten Anliegen dem Erwerbsleben unterordnen und sein Handy auf Dauerempfangsbereitschaft stellen.

Zum Leben der Dienstleister gehört obendrein ein gerütteltes Maß an sozialer Kälte: Menschliche Gewinnposten - etwa die nachträgliche Erfahrung, Vater geworden zu sein - werden wie Kurs-Einträge in der Profittabelle verzeichnet. Die deutschsprachigen Dramatiker sind die vielleicht hörigsten Adepten der "Cashflow"-Magazine: Sie machen sich auf die allgegenwärtige Flutung der Lebensräume mit Ökonomie-Gefasel ihren Reim.

Syha aber ist keine Röggla und kein Palmetshofer: Man könnte sie stattdessen als die triumphale Komödienschreiberin der Wirtschaftsblase bezeichnen. In Fracht liegt die schlimme Geschäftigkeit eines nicht näher klassifizierbaren Unglücks über den Transitgästen eines Airports: Somalische Piraten haben einen Frachter aufgebracht. Stürzen jetzt ein paar Erwerbsleben wie Kapitalpyramiden in sich zusammen? Nichts dergleichen. In Katrin Schurichs geradezu obszön barocker Inszenierung schälen sich jeweils zwei Damen und zwei Herren aus ihren Business-Panzern heraus: Auch darin liegt ein Vorgriff auf die hoffentlich noch kommende Emanzipation des armen, ausgebeuteten Menschengeschlechts. Die Warteschleife vor dem Eincheck-Schalter (Bühne: Stefanie Stuhldreier) ermöglicht den raschen Wechsel in Lebenssphären, die man "privat" nennen würde. Wenn man nicht bereits wüsste, dass auch das Private nur Produktivkraft ist im international wuchernden Wettbewerbsgeschehen.

Soldaten und Verkäufer

"Berater 1" (Rolf Schwab) ist der hagere, austrainierte Frontsoldat im harten Ringen um die Profitmaximierung. Sein Gegenüber "Berater 2" (Michael Smulik) gibt nicht nur den spät auftauchenden Sohn als um Fassung ringenden, um Struktur bemühten Gutmenschen. Überhaupt schlüpfen die Mitglieder des kleinen Ensembles unentwegt in alle möglichen Charaktermasken: als wäre der Kapitalismus mit seinen eigenen Mitteln noch am ehesten zu übertölpeln. Jede und jeder kann alles spielen. Speed kills!

Die Lorbeerkronen für diese insgesamt höchst vergnügliche Produktion möchte man aber dennoch den Damen aushändigen: Nicola Trub kann den blonden russischen Zierfisch im Eheaquarium ebenso geben wie die schwäbische Bürohilfskraft, Alexandra Maria Timmel die Simultandolmetscherin und die Brotfilialverkäuferin. Kapitalismus-Kabarett, aber eines mit Schmiss. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Printausgabe, 19. 1. 2011)