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Der Anästhesist behält den Patienten während der ganzen Operation im Auge.

Foto: APA/Helmut Fohringer

Szene wie aus einem Psychothriller: Ein Patient erwacht während der Narkose, unbemerkt vom OP-Team. Munter aber unfähig sich zu bewegen oder gar zu artikulieren, fühlt der die Schmerzen und nimmt akustische Ereignisse im Operationssaal wahr. 

So passiert in Kärnten im Jahr 2003. Eine traumatische Situation für die betroffene Frau, doch zum Glück sind intraoperative Wachphänomene heute sehr selten. „Die Angst während der Narkose aufzuwachen ist an unserem Haus nicht gerechtfertigt, weil wir praktisch keine Muskelrelaxantien mehr verwenden. Würde eine Patient also während einer Operation aufwachen, wäre er auch imstande sich zu bewegen", weiß Udo Illievich, Vorstand der Abteilung Anästhesiologie und Intensivmedizin der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz und geht davon aus, dass auch in anderen chirurgischen Bereichen die Muskelrelaxantien in den nächsten Jahren weniger Einsatz finden werden.

Von Mono bis Kombi

Um das zu verstehen erfordert es einen Blick zurück zu den Anfängen der Anästhesie. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde mit Hilfe der Äthernarkose erstmalig schmerzfrei operiert. Das besondere an dieser sogenannten Mononarkose: Die Schmerzausschaltung wurde durch den Grad des Bewusstseinsverlusts gesteuert. Für viele Operationen war daher eine sehr „tiefe" Narkose erforderlich. Die damit verbunden Nebenwirkungen hoher Medikamentendosen wurden in Kauf genommen.

Nach der Mononarkose, die sich später auch anderer Substanzen bediente, kam die Kombinationsnarkose. Sie findet auch heute noch ihre Anwendung. Drei verschiedene Komponenten versetzen Patienten in einen Zustand der Bewusstlosigkeit, die Schmerzempfindung wird zur Gänze ausgeschaltet und die Muskulatur bei Bedarf mit Hilfe von Muskelrelaxantien reversibel gelähmt.

Am Schmerz orientieren

Vorteile der Muskelrelaxantien, die ursprünglich vom indianischen Pfeilgift „Curare" abstammen: Sie erlauben eine niedrige Dosierung der anderen Narkosemedikamente und oft auch eine Verbesserung der Operationsbedingungen. Die Gefahr die sich dahinter verbirgt: Es kann zu einer Unterdosierung der Schlaf- und im Besonderen auch der Schmerzmittel kommen, da schmerzbedingte Abwehrbewegungen nun nicht mehr möglich sind. „Üblicherweise arbeiten wir heute mit der analgesiebasierten Narkose, die sich ausschließlich am Schmerz der Patienten orientiert. Hat der Patient keine Schmerzen, dann hat er auch keinen Grund sich zu bewegen", betont der Linzer Anästhesist. 

Aus medizinischer Sicht ist die Angst vor dem ungewollten Erwachen also beinahe unbegründet, trotzdem fürchten viele Menschen die Allgemeinanästhesie mehr als die bevorstehende Operation. „Angst sollte man vor der eigenen Erkrankung haben, dann vor dem Eingriff und zuallerletzt vor der Narkose", bringt Illievich die bestehenden Risiken in die richtige Reihenfolge. Narkosezwischenfälle sind demnach selten, jedoch umso häufiger, je gravierender die Grunderkrankung eines Patienten ist. Deshalb werden die Patienten im Vorfeld genau untersucht, und nach der Risikoabschätzung der American Society of Anesthesiologists (ASA 1-5) exakt klassifiziert.

Narkotisierte Menschen schlafen nicht

Für gesunde Patienten (ASA 1) ist das Risiko eines Narkosezwischenfalls verschwindend gering, trotzdem sind viele Menschen verunsichert. Dazu trägt unter anderem die Tatsache bei, dass man während einer Vollnarkose, die Kontrolle über den eigenen Körper zur Gänze verliert, Anästhesisten und Chirurgen ist man ausgeliefert. „Wir stehlen unseren Patienten sozusagen die Zeit", versucht Illievich die psychologischen Hintergründe für die Ängste seiner Patienten zu erklären. Einschlafen, aufwachen und wissen, dass vielleicht fünf Stunden der eigenen Lebenszeit ohne bleibende Erinnerung daran abhanden kommen, erzeugt eben unangenehme Gefühle. Ein Vergleich mit dem Schlaf hinkt, denn obwohl natürlich niemand weiß, ob er morgens wieder aufwacht, ist die Furcht abends ins Bett zu gehen bei den meisten gering. „Man darf nicht vergessen, narkotisierte Menschen schlafen nicht. Sie sind bewusstlos, haben also auch keine Schutzreflexe mehr", klärt Illievich auf. 

Aufklärung ist im Bereich der Anästhesie das A und O. Nicht zuletzt deshalb, weil die Vorstellungen darüber oft jenseits der Realität angesiedelt sind. Viele wissen nicht einmal, dass Narkoseärzte überhaupt existieren, geschweige denn, dass Anästhetika nicht nur einmalig verabreicht werden. Ein aufklärendes präoperatives Gespräch füllt diese Wissenslücke und vermag dabei auch Ängste zu reduzieren. Was genau aber macht der Anästhesist? Er kümmert sich nicht nur um die Einleitung, Aufrechterhaltung und Ausleitung der Narkose, sondern behält den Patienten während der ganzen Operation im Auge. Konkret misst er dazu basismäßig den Blutdruck, überwacht die Herzaktion mit einem EKG, und kontrolliert die Sauerstoffsättigung im Blut. Eine Kontrolle der Hirnströme über das EEG ermöglicht die Beurteilung der Narkosetiefe.

Angst vor der Intubation

Das alles wappnet Anästhesisten für eventuell sich anbahnende Komplikationen, macht sie jedoch nicht zu völlig angstfreien Draufgängern. „Wir Anästhesisten fürchten uns davor, nicht beatmen zu können", gesteht Illievich offen ein. Als künstliche Beamtungshilfe steht hier die Intubation zur Verfügung. Sie ist unter anderem dann erforderlich, wenn Muskelrelaxantien bei großen Eingriffen im Brust- oder Bauchbereich ihren Einsatz finden. Wie erwähnt, lähmt diese Medikamentengruppe die gesamte Muskulatur, so auch die Atemmuskulatur. Der Patient hört auf zu atmen, dem Anästhesisten bleiben nur wenige Minuten um einen Schlauch (Tubus) über die Mundhöhle in die Luftröhre einzuführen. 

Der Zeitdruck macht auch den Spezialisten zu schaffen. Die Angst, dass der Tubus nicht hineingeht ist groß. Und die Häufigkeit einer schwierigen Intubation wiederum ist gar nicht so klein. Sie liegt zahlenmäßig zwischen 0,5 und 2 Prozent. „Das klingt viel, hängt aber nur damit zusammen, dass ein Patient, der sich erst nach 10 Minuten und drei misslungenen Versuchen erfolgreich intubieren lässt, definitionsgemäß bereits als schwierige Intubation gilt", weiß Illievich. Was so viel heißt wie: Auch schwierige Intubationen gelingen letztendlich fast immer und wenn nicht, dann ist das noch längst nicht das Todesurteil. Der Anästhesist hat noch Alternativen in petto.

Kein guter Begleiter

Angst aufzuwachen oder nicht mehr aufzuwachen, Kontrollverlust und Hilflosigkeit - mit der Liste präoperativer Ängste ist man hier längst nicht am Ende. Der Versuch sich davon zu befreien, macht in jedem Fall Sinn, denn Angst ist kein guter Begleiter. Das gilt auch für die Allgemeinanästhesie. Angst erhöht die Schmerzempfindung und erschwert die Einleitung einer Narkose. „Ich kann schon nach einer Einleitung sagen, ob ein Patient nervös war oder nicht. Besonders ängstliche Patienten brauchen einfach mehr Medikamente", so Illievich.

Schlussendlich ist er von der Qualität und Sicherheit moderner Narkosen überzeugt und führt die präoperative Angst vor einem Verlust von Gehirnzellen infolge der Allgemeinanästhesie ad absurdum: „Vor einer unkontrollierten Vergiftung zu Silvester fürchtet sich niemand, vor der kontrollierten Vergiftung während der Anästhesie viele". (derStandard.at, 19.1.2011)