Der türkische Regierungschef Tayyip Erdogan ist nicht bereit, den Streit über die Worte der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Zypern ruhen zu lassen. Erdogan verlangt nunmehr eine Entschuldigung von Merkel und ging in einer Rede vor Funktionären seiner Partei sogar so weit, der Kanzlerin Unredlichkeit vorzuwerfen: „Die Bemühungen der deutschen Regierungschefin, ihre populistische Politik gegenüber den Türken in Deutschland nun auf Zypern zu übertragen und mit Äußerungen insbesondere zuungunsten der Türken sympathisch gegenüber dem griechischen Teil aussehen zu wollen, sind vielsagend", zitierte die Tageszeitung „Hürriyet" den türkischen Premierminister am Wochenende.

Merkel hatte bei ihrem Besuch in Nikosia am vergangenen Dienstag lobende Worte für Zyperns Staatspräsident Dimitris Christofias gefunden. „Wir schätzen ausdrücklich Ihren Mut und Ihre Kreativität", sagte Merkel. Leider werde diese Kompromissbereitschaft bislang „so noch nicht erwidert", stellte die Kanzlerin mit Blick auf Ankara fest. Die türkische Regierung weigert sich bisher, dem Parlament das so genannte Ankara-Protokoll zur Ratifizierung vorzulegen. Darin wird die Ausdehnung der Zollunion zwischen der Türkei und der EU auf die Republik Zypern festgelegt. Entgegen der Forderungen der EU blockiert die Türkei aber weiter ihre See- und Flughäfen für Zypern und verlangt, dass die Mitgliedsstaaten der Union zunächst Handelsbeziehungen mit dem türkisch besetzten Nordteil der Insel aufnehmen. Die Beitrittsverhandlungen sind nun faktisch zum Erliegen gekommen.

Merkel habe keine Ahnung von der Zypern-Frage, sagte Erdogan. „Eine solche Haltung und solche Aussagen zeugen nicht von einer weitsichtigen und vorausschauenden Führung. Frau Merkel sollte ihre Geschichtskenntnisse überprüfen, und ich muss sagen, dass wir, die türkische Seite, die für einen Kompromiss auf der Insel jede Art der Selbstlosigkeit gezeigt hat, eine Entschuldigung erwarten." Dass der türkische Premierminister als Bühne für seinen Angriff auf Merkel eine Rede vor den Provinzvorsitzenden seiner konservativ-muslimischen AKP am Freitagabend in Ankara wählte, zeigt den anlaufenden Parlamentswahlkampf. „Ihr könnt kein Gramm von Nordzypern nehmen, wir werden es nicht hergeben", sagte Erdogan an die EU gerichtet, was bei nationalistischen Wählern gut ankommen dürfte. Einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage zufolge hat die AKP derzeit 46 Prozent der Wähler hinter sich, die oppositionelle säkulare CHP 26 Prozent.

Als Gradmesser für Erdogans Verärgerung gilt eine denkbare Absage seines Besuch bei der CeBIT in Hannover. Die Türkei ist dieses Jahr Partnerland. Geplant ist, dass Merkel und Erdogan die Messe gemeinsam am 28. Februar eröffnen. An der öffentlichen Schelte gegen Merkel beteiligten sich auch andere Mitglieder der türkischen Führung. Außenminister Ahmet Davutoglu warf der Kanzlerin Einseitigkeit vor, Staatspräsident Abdullah Gül nannte Merkels Äußerung „betrüblich" bei einem Auftritt in Balikesir im Westen des Landes: „Von Europas stärkstem und größtem Land, von der Lokomotive der EU hätte ich mehr Umsicht und Konstruktivität erwartet." Deutschlands Botschafter in Ankara, Eckart Cuntz, war vergangenen Donnerstag zu einem Gespräch mit Außenstaatssekretär Halit Cevik eingeladen worden, bei dem die türkische Seite ihre Beschwerde deponierte. Der Botschafter hatte selbst vor zwei Wochen um ein Gespräch gebeten, der Termin wurde dann aber rasch nach Merkels Zypern-Besuch festgesetzt. (Markus Bernath aus Istanbul/derStandard.at/17.1.2011)