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Gut gelaunt auf dem Weg in die neue ungarische Medienära: José Manuel Barroso und Ungarns Premier Viktor Orbán in Budapest anlässlich der Feiern zur turnusmäßigen Übergabe des EU-Vorsitzes.

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Lieber Herr Barroso! Sie sind großartig. Ich habe Sie unterschätzt! Gestatten Sie mir, Ihnen auf diesem Weg meine Anerkennung auszusprechen! Wie vielsagend Sie sich im Bemühen, Ihr Unbehagen am ungarischen Mediengesetz zu formulieren, gewunden haben! Wie unmissverständlich Sie zu erkennen gaben, dass Sie einer Pflichtübung nachkamen! Ich weiß schon, dass es nicht Ihr alleiniges Verdienst ist, dass die Warnung an die Ungarn so zurückhaltend klang. Bitte übermitteln Sie auch allen daran Beteiligten meine ganz besondere Anerkennung!

Ich werde selbstverständlich auch Herrn Orbán schreiben und ihm den Rücken stärken. Er soll keinesfalls einen Rückzieher machen, auch wenn er schon nicht darum herumkommt, ein paar kleine Retuschen an dem Gesetz anzubringen, die nicht wirklich etwas dran ändern.

Ich wollte auch Herrn Van Rompuy schreiben. Aber leider habe ich seine Privatanschrift nicht und in den Brüsseler Mühlen käme mein Brief womöglich in die falschen Hände. Dort weiß ja die Linke nicht, was die Rechte tut. Umgekehrt ist es zum Glück nicht ganz so schlimm, weil die Rechte passt besser auf. Ich bitte trotzdem vorsichtshalber Sie, lieber Herr Barroso, Herrn Rompuy meinen ganz besonderen Dank für sein kluges, umsichtiges Verhalten in Budapest zu übermitteln. Ich habe den Herrn Ratspräsidenten zunächst für eine Art Graf Bobby gehalten, aber ich habe eben auch ihn unterschätzt.

Dass er ausgerechnet an dem Tag in Budapest war, an dem dort das fortschrittlichste Mediengesetz aller EU-Mitgliedsstaaten vom Parlament beschlossen wurde, war ein großartiger Schachzug der Vorsehung. Weil dadurch bekamen seine Worte eine ganz besondere Signalwirkung. Wer hätte schon einen Satz wie "Ich bin hier, um zu feiern" an einem anderen Tag beachtet! Wer hätte Rompuys Bemerkung, er freue sich auf eine "exzellente Zusammenarbeit" und werde "mit einem ausgezeichneten Eindruck nach Brüssel zurückkehren", an einem anderen Tag auch nur die geringste Bedeutung beigemessen! Aber so! Es war ein Signal! Mutig! Positiv!

Wenn die Europäische Union so weitermacht, lieber Herr Barroso, wird sie tatsächlich noch zu einer fortschrittlichen Kraft. Aber schon jetzt wird mir warm ums Herz, wenn ich die großen Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit verfolge. Wir stehen nicht allein auf weiter Flur hier in Österreich. Vielleicht sollte ich auch dem Herrn Botschafter Tezcan schreiben. Ich mag zwar die Kopftuchträgerinnen nicht, gebe aber freimütig zu, dass von der Türkei auch sehr positive Einflüsse ausgehen. Die Türken haben doch recht, wenn sie sich ihr Türkentum nicht beleidigen lassen. Der Herr Orbán braucht sich also gar nicht dafür zu schämen, wenn er nicht länger dabei zuschaut, wie sein Ungarntum beleidigt wird. Sogar die Israeli lernen jetzt schon von den Türken und wollen gesetzlich gegen "unpatriotische Aktivitäten" vorgehen.

Auch den USA, den angeblichen Tugendwächtern der Demokratie, verdanken wir mittlerweile beachtenswerte Anregungen. Sollen sie sich von Wikileaks auf den Kopf machen lassen? Vielleicht ist sogar der Herr Obama lernfähig. Man muss ja nicht immer nur auf die Türken schauen. Man kann auch manches von den Chinesen lernen, die eben doch nicht nur das Schießpulver und das Porzellan erfunden haben.

Ich bin ja nicht gegen die Demokratie, nur gegen die extreme. Ein lieber Freund, ein kluger Mann, hält die Demokratie überhaupt für das größte Kuckucksei der Geschichte. Schon Plato habe Demokratie gejätet. Plato habe überhaupt bereits alles gewusst, was jemals gegen die Demokratie zu sagen war. Caesar habe die mannhafte Tat, das athenische Kuckucksei endgültig zu begraben, mit seinem Leben bezahlt.

Die Demokratie, meint mein Freund, sei wie ein Unkraut, das man nie ganz ausgraben kann - so ein Zeug, das immer wieder austreibt und das man nur durch emsiges Jäten niederhält. Aristoteles habe Demokratie gejätet, Alexander der Große habe Demokratie gejätet, und erst die alten Römer. Die katholische Kirche habe ganze Wurzelstöcke Demokratie ausgegraben.

Mittlerweile funktioniere die Demokratie aber eh ganz gut, dem großen Führer der Vorsehung sei Dank, meint mein Freund. Heute dürfe jeder wählen, ändern könne er sowieso nichts. Auch gehorchen müsse niemand mehr, seit jeder ganz von selbst wisse, was gefragt ist. Jeder dürfe sagen, was er will, es höre sowieso keiner zu.

Ich wäre zu solch theoretischen Gedanken nie fähig, ich bin ein Mann der Tat. Aber man kann nie genug aufpassen, und wenn die Meinungsfreiheit missbraucht wird, muss etwas geschehen. In diesem Sinne dürfen Sie auf meine Unterstützung zählen, sobald ich etwas zu reden habe. (Helmut Butterweck, DER STANDARD; Printausgabe, 15./16.1.2011)