Dunja Mijatovic.

Foto: STANDARD/Urban

STANDARD: Bedeutet das Mediengesetz die Abschaffung der Pressefreiheit in Ungarn?

Mijatoviæ: Ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass die Regierung schließlich versteht, dass sie etwas ändern muss. Es ist offensichtlich, dass mit diesem Gesetz etwas falsch läuft. Ich habe das schon im Juni angesprochen und die Behörden aufgefordert, den Entwurf zu stoppen und nachzubessern. Im September haben wir eine Analyse und Empfehlungen nach Ungarn geschickt. Leider hat die Regierung das Gesetz ohne bedeutende Änderungen verabschiedet.

STANDARD: Welche Punkte sind besonders problematisch?

Mijatovic: Viele. Der wichtigste: die Medienvielfalt. Das Gesetz verschafft dem Medienrat das Recht, über Rundfunk-, Print- und Online-Medien Strafen zu verhängen. So etwas gibt es in keinem anderen europäischen Staat, ganz zu schweigen vom Balkan, wo ich herkomme. Das ist inakzeptabel. Wir versuchen gerade, Weißrussland zu vermitteln, dass eine Kommission keine Warnungen an die Presse aussprechen sollte. Mit dem neuen Gesetz reguliert eine Behörde alle Medien. Es gibt nirgendwo sonst das Recht, dermaßen in die Presse einzugreifen.

STANDARD: Mit anderen Worten: Das öffnet den Weg für Zensur.

Mijatovic: Natürlich. Auch die Zusammensetzung des Medienrats ist sehr Besorgnis erregend; die Mitgliederwahl; die Machtverteilung. Ein Gremium kontrolliert alles. Die Art, wie die Regulierungsbehörde organisiert ist, zielt darauf ab, Selbstzensur und Angst auf Seite der Journalisten zu schaffen. Ich bin froh, dass auch die Journalisten die Regierung anprangern - nicht nur internationale Medienwächter und Experten.

STANDARD: Ungarns Regierung argumentiert, alle Bestimmungen fänden sich auch in verschiedenen Mediengesetzen von EU-Staaten.

Mijatovic: Sicherlich kann man von einigen Elementen sagen: Das hat auch Island, das Schweden, das Österreich. Trotzdem: Dieses Statement ist einfach falsch.

STANDARD: Noch ein Regierungsargument: Wir wollen keine Zensur, also wartet doch einfach einmal ab, wie das Gesetz in der Praxis funktioniert. Ein gangbarer Weg?

Mijatovic: Sicher nicht. Es gibt Grundwerte und Grundfreiheiten. Da gibt es nichts zu testen.

STANDARD: Würden Sie ein EU-Verfahren befürworten, wenn Budapest das Gesetz nicht ändert?

Mijatovic: Es ist nicht meine Aufgabe, solche Maßnahmen zu befürworten. Ich habe eine sehr gute Kooperation mit der EU. Aber ich mische mich nicht in ihre Maßnahmen ein. Unsere Messlatte sind die OSZE-Verpflichtungen.

STANDARD: Wie erklären Sie sich, dass so ein Mediengesetz im heutigen Europa zustande kommt - ist das ein Ungarn-spezifisches Problem oder ein allgemeiner Trend?

Mijatovic: Es ist bedauerlich, was in Ungarn passiert, aber ich sehe es nicht als allgemeinen Trend in Europa. Und ich hoffe, dass auch der Trend in Ungarn nur temporär ist. Es gibt immer Gefahren für die Meinungsfreiheit. Man muss sie immer schützen, dafür kämpfen. Und es gibt viele Probleme mit der Pressefreiheit in Europa ...

STANDARD: ... Beispiel Italien.

Mijatovic: Italien, Frankreich und so weiter. Aber nichts kommt auch nur in die Nähe dessen, was wir zurzeit in Ungarn sehen. (Julia Raabe, DER STANDARD; Printausgabe, 15./16.1.2011)