Mensch mit maschineller Unterstützung: Mit Elektrostimulation können Schlaganfallpatienten mit Fußheberschwäche besser gehen.

Foto: www.ottobock.at

Jedes Jahr erleiden weltweit 15 Millionen Menschen einen Schlaganfall. In Österreich sind es jährlich rund 20.000. Eine häufige Folge sind motorische Lähmungen, unter anderem der sogenannte Fallfuß. Dabei schleifen die Zehen auf dem Boden. Jeder Schritt bedeutet eine enorme Anstrengung. Die Sturzgefahr ist groß. ActiGait ist ein Funktioneller Elektrostimulator, der unter der Haut eingepflanzt wird. Das System übernimmt durch elektrische Impulse die Steuerung gelähmter Muskeln. Es besteht aus zwei Teilen: einer liegt innerhalb, der andere außerhalb des Körpers. Durch zwei kleine Hautschnitte am Oberschenkel werden ein Stimulator und eine Manschettenelektrode implantiert. Die Elektrode umschließt den Peronaeusnerv und stimuliert ihn. Im gesunden Körper erhält der Nerv die Signale aus dem Gehirn. Ist dieser Weg unterbrochen, können die Muskeln auf natürlichem Weg nicht mehr aktiviert werden.

Bei der Elektrostimulation kommt der Impuls von externen Teilen. Ein Fersenschalter erkennt, wenn der Fuß gehoben wird, und schickt die Information an eine Steuereinheit am Gürtel. Diese löst die elektrische Signalübertragung aus. Patienten, die zuvor nur wenige, wackelige Schritte machen konnten, sind mit ActiGait in der Lage, wieder weite Wanderungen zu unternehmen.

Die Funktionelle Elektro-Stimulation wurde erstmals 1961 als Oberflächen-Stimulation getestet. (siehe Wissen). Alle Teile lagen außerhalb des Körpers. "Das Neue gegenüber der Oberflächen-Stimulation ist, dass wir mit dem Implantat nicht den ganzen Nerv, sondern spezifische Bereiche und damit einzelne Muskelgruppen erreichen können. Damit lassen sich Bewegungen fein dosieren" , erklärt Hans Dietl, der die Forschung und Entwicklung im Bereich Neurostimulation bei Otto Bock Healthcare in Wien koordiniert.

Wieder neu einlernen

Wissenschafter der Firma Neurodan, einem Spin-off-Unternehmen der Universität Aalborg in Dänemark, haben wesentlich zum Erfolg von ActiGait beigetragen. Seit 2005 gehört das dänische Unternehmen zur Otto-Bock-Gruppe. Die ersten Implantationen fanden in Aalborg statt. Die Ergebnisse sind vielversprechend. "Wenn mehr als 15 Monate die Stimulation bei jedem Schritt - und das ist das Wesentliche - bei jedem Schritt durchgeführt wird, zeigt sich eine Verlängerung der Schrittlänge und eine Erhöhung der Gehgeschwindigkeit, auch wenn die Stimulation abgedreht wird" , sagt Michaela Pinter, Neurologin und Neurowissenschafterin an der Donau-Universität Krems. Das bedeute zwar keine Heilung, so die Neurologin, aber es komme zu einer Regeneration von Gehirnzentren, wodurch sich in der Folge das Gangbild deutlich normalisiere.

Für Menschen nach einem Schlaganfall kann ActiGait die Rückkehr in ein weitgehend normales Leben bedeuten. Künftig könnten auch Menschen mit multipler Sklerose, Schädel-Hirn-Trauma und traumatischen Querschnittssyndromen davon profitieren. In Österreich fand die elektrische Stimulation bei zentralen Paresen bisher noch weniger Beachtung, kritisiert Michaela Pinter.

Ein Vorarlberger ist der erste Patient in Österreich, der 2010 mit ActiGait versorgt wurde. Um einen breiten Zugang zu dieser wichtigen Therapieform zu schaffen, wird im Jahr 2011 vom Zentrum für Klinische Neurowissen-schaften eine Fortbildungsoffensive zum Thema "Funktionelle elektrische Stimulation" an der Donau-Universität Krems gestartet. (Elke Weiss, DER STANDARD Printausgabe, 17.1.2011)