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Der Kobold mit dem Goldtopf konnte während der Bankenstreiks in Irland in den Jahren zwischen 1966 und 1976 auch nicht helfen.

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Die Iren haben es nicht leicht im Moment. In den Monaten vor Weihnachten hielt der Inselstaat die Finanzmärkte und die Weltpresse in Atem. Nach der griechischen Tragödie im Frühjahr 2010 folgte also die irische zum Jahresende. Der Buhmann in der Eurozone zu sein, sich mit einem maroden Finanzsektor herumzuschlagen und zudem ein harsches Sparpaket auf dem Buckel zu haben, das ist wohl alles ein bisschen viel für ein kleines Land wie Irland gewesen. Dabei können die Iren mit einem besonderen Kuriosum in Sachen Krisenbewältigung und Crash des Finanzsystems in ihrer Geschichte aufzuwarten. Anschauungsmaterial für ein Land ohne Banken quasi.

Für Finanzinstitute wurden seit Ausbruch der Krise zahlreiche Rettungspakete - staatliche wie unionsgemeinschaftliche - weltweit geschnürt. Begründet wird der Hilfsreigen immer wieder mit der Systemrelevanz der Banken und vor allem mit dem drohenden Zusammenbrechen des gesamten Wirtschaftskreislaufes, sollten die Banken in die Binsen gehen.

Drei Streiks

Zwar kämpfte Irland zwischen 1966 und 1976 nicht mit dem kompletten Zusammenbruch des Finanzsystems oder insolventen Großbanken, schlug sich aber dafür mit massiven Streiks der Associated Banks (ein Bankenverbund aus Bank of Ireland, Allied Irish Banks, Northern Bank und Ulster Bank) herum. Insgesamt waren wegen Unstimmigkeiten bei den Lohnverhandlungen die irischen Banken gut ein Jahr geschlossen. Der längste Streik ereignete sich im Jahr 1970 - zwischen 1. Mai und 17. November war in den Banken nichts zu holen und nichts hinzubringen. Eingedenk dessen, dass 85 Prozent der Einlagen in Spar- und Girokonten in Banken der Associated Banks zu finden waren, keine Kleinigkeit für Irland und seine Bewohner.

Für Ökonomen und Geldtheoretiker eigentlich ein gefundenes Fressen, gibt es zu den Auswirkungen des Bankenstreiks allerdings nur eine einzige Abhandlung aus dem Jahr 1978 von Antoin E. Murphy. In "Money in an economy without banks: The case of Ireland" beschreibt der Geldtheoretiker, wie die irische Wirtschaft trotz des Streiks weiter bestehen konnte.

Dazu muss gesagt werden, dass natürlich das in Umlauf befindliche Geld auch weiter in Umlauf blieb, sowohl in irischem als auch in britischem Pfund. Außerdem versorgten Banken, die nicht zu den Associated Banks gehörten, wenigstens ihre Kunden mit Bankserviceleistungen. Allerdings fehlte diesen Instituten, zumeist US-amerikanischen und Investmentbanken - ein weit ausgedehntes Filialnetz, um tatsächlich die Geschäfte der streikenden Banken zu übernehmen. Murphy berichtet, dass die meisten der noch offenen Banken außerhalb des Bankenverbunds spätestens im Mai keine neuen Konten mehr eröffneten. Konten auf ausländischen Banken gab es schließlich auch noch. Alles in allem, berechnete Murphy jedoch, konnten diese alternativen Geldquellen die Lücke, die die Streiks in den Geldkreislauf gerissen hatten, nie und nimmer schließen.

Kein Streikende in Sicht

Und was waren die Folgen? Rasselte die irische Wirtschaft in den Keller? Wurde nichts mehr gekauft oder verkauft? Irgendwie musste ja das alltägliche Leben weiterlaufen. Und genau das tat es auch: mit nicht gegenverrechneten Schecks auf die Associated Banks. Da ein schnelles Ende des Streiks schon zu Beginn ausgeschlossen war, wurden diese Schecks zum gängigen Zahlungsmittel.

Normalerweise funktionieren Schecks gerade deswegen, weil man weiß, ob sie gedeckt sind oder nicht und dass über den Mittler Bank die Zahlung in kurzer Zeit erfolgt. Die Banken, die 85 Prozent des Spar- und Girogeldes verwalteten, waren aber geschlossen. Für wie lange, wusste im Mai 1970 keiner. Das hieß, die Fragen nach dem Vertrauen und der "Deckung" der Schecks musste über andere Wege geklärt werden.

Die Iren lösten das Problem mit einem hochgradig personalisierten Geldsystem, das sich in erster Linie die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten Irlands zunutze machte. Die Ausgabe oder Annahme von Schecks blieb aber viel weniger ein Roulette, als man es vermuten möchte.

Neue "Banken"

Banken als Hüter der Information über die Kreditwürdigkeit fielen aus. Also musste diese Arbeit jemand anderer übernehmen. Zwischen zwei Einzelpersonen war es einfach, sofern man eben darüber Bescheid wusste, wie es um die Finanzen des jeweiligen Gegenübers bestellt war. Fehlten diese Informationen, sprangen andere ein, die genau über diesen Wissensvorteil verfügten. Das waren einerseits die Geschäftsleute in den Städten und Dörfern und andererseits - anders in Irland kaum denkbar - die Pubs. Wer, wenn nicht der Wirt um die Ecke, sollte wissen, wie es um die Geldangelegenheiten beim Stammgast aussah? Murphy glaubt, dass dieses alternative Geldsystem vor allem wegen der relativ geringen Bevölkerungszahl (1970: drei Millionen Einwohner) und dem hohen Grad an persönlichen Kontakten funktionieren konnte.

Dabei ist auch nicht außer Acht zu lassen, dass keineswegs alle Schecks akzeptiert wurden, geschweige denn gleich behandelt wurden. Sie wurden - nach besten Wissen und Gewissen eben - in unterschiedliche Risiko-Klassen eingeteilt. Schecks, die auf allgemein bekannte, vertrauenswürdige Institutionen oder Unternehmen ausgestellt wurden, zirkulierten demnach oft und viel und galten als risikoarm. Bei jenen "Zahlungsmitteln" hingegen die auf Einzelpersonen ausgestellt waren, hing die Risiko-Gruppe stark von den Informationen und dem persönlichen Kontakt zwischen Scheck-Aussteller und Annehmer ab. Wie auch aus einem Bericht der Irischen Zentralbank aus dem Jahr 1971 hervorgeht, habe das System gut funktioniert, die ausgestellten Schecks wurden weitgehend als Zahlungsmittel akzeptiert - lediglich bei Schecks von dritten Parteien sei die Akzeptanz geringer gewesen. Was auch klar ist, fehlte hier doch der Vertrauensvorschuss in Sachen Kreditwürdigkeit.
Ein weiteres Indiz dafür, dass die Scheckzahlung als Alternative genutzt wurde, zeigt sich auch darin, dass es kaum zu einem Anstieg der Kartenzahlung während des Bankenstreiks kam. Außerordentlich profitiert von dem neuem Zahlungsweg haben laut Murphy vor allem die Verlage für Scheckbücher.

Kaum Schaden entstanden

Der irischen Wirtschaft entstand durch den Bankenstreik kaum ein Schaden. Einer Studie zufolge sei das Wirtschaftswachstum weiterhin gestiegen, wenn auch in etwas kleineren Umfang. Murphy analysierte dazu die Einzelhandelsumsätze in den Monaten der Streiks: "Es wäre anzunehmen, dass wenn der Öffentlichkeit der direkte Zugang zu 80 Prozent der Geldmenge entzogen wird, das zu wesentlichen deflationären Kräften in der Wirtschaft führen würde." Das sei aber nicht passiert. In acht von insgesamt zwölf Monaten der Bankenstreiks wichen die Einzelhandelsumsätze nicht von den Erwartungen ab. Die restlichen vier Monate standen jeweils am Beginn der Streiks. Der Wunsch nach einem Weiterlaufen der Wirtschaft hätte einen "Lernprozess" in Gang gesetzt und mit dem Scheck-System zum Funktionieren gebracht.

Es gab also keinen fundamentalen Wandel im Geldsystem. Für die Geldtheorie hält Murphy aber fest, dass der Streik der Banken in Irland die Unterscheidung zwischen Geld als Zahlungsmittel und Geld als Tauschmittel veranschaulichte. In diesem Fall fiel die "Geld als Zahlungsmittel"-Funktion völlig weg, es blieb also nur das Tauschmittel Geld über. Und das Tauschmittel funktionierte seinerseits nur über die Verfügbarkeit und Verbreitung von Informationen über die Schuldner. Als die Banken im November 1970 wieder aufsperrten, wurden die Schecks eingelöst und damit wieder in "echtes" Geld verwandelt. Ob sich daraus aber schließen lässt, dass der regelmäßige Besuch von Pubs eine Garantie für das Weiterbestehen des Wirtschaftskreislaufs beim Dahinscheiden von Banken ist - das lässt sich aus dieser Geschichte nicht herauslesen. (Daniela Rom, derStandard.at, 17.1.2011)