Istanbul - Der türkische Regierungschef Tayyip Erdogan und seine Minister verteilen derzeit schlechte Noten ans Ausland: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel habe wohl vergessen, was sie früher gesagt habe, kritisierte Erdogan nach dem Besuch der Regierungschefin auf Zypern; Merkel hatte früher die Aufnahme der geteilten Insel in die EU als Fehler bezeichnet, jetzt sprach sie von Kompromissbereitschaft der griechischen Zyprioten, die nicht erwidert worden sei. Am Donnerstag wurde der deutsche Botschafter in Ankara zu einem Gespräch ins Außenministerium geladen.

In einem Interview mit dem Nachrichtensender Al-Jazeera empfahl Erdogan dann die Ablösung des israelischen Außenministers Avigdor Lieberman. Erdogan nannte den rechts stehenden Minister ein "Problem am Kopf Israels" . Die Israelis sollten Lieberman loswerden. "Wenn sie es nicht tun, werden Israels Probleme nur schlimmer" , warnte der türkische Premier.

Lieberman hatte zuvor Ankaras Forderung nach einer Entschuldigung Israels für den Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte und den Tod von neun Aktivisten als Unverschämtheit zurückgewiesen. Die Türken hätten sich zuerst für die Entsendung der Flotte zu entschuldigen. Erdogan wiederholte in dem Interview mit Al-Jazeera auch sein Verständnis für die radikale, im Gazastreifen regierende palästinensische Hamas: "Die Hamas ist keine terroristische Bewegung. Das sind Leute, die ihr Land verteidigen."

Vermittlungsversuche in Beirut

Die türkische Diplomatie war am Donnerstag mit Vermittlungsversuchen im Libanon beschäftigt. Außenminister Ahmet Davutoglu telefonierte zweimal mit Regierungschef Saad al-Hariri, Erdogan rief den syrischen Staatschef Bashar al-Assad an. Ankara bemüht sich seit mehreren Jahren um eine größere Rolle im Nahen und Mittleren Osten. Die offene Kritik an Israel und das Verständnis für den Iran bringt der Türkei zumindest wachsendes Ansehen der "arabischen Straße" ein. (mab/DER STANDARD, Printausgabe, 14.1.2011)