Uschi Reim-Hofer, geb. 1957, ist diplomierte Hebamme. Neben YoungMum hat sie 1994 das Wahlhebammenkonzept initiiert.

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Standard: Wie ist die Idee zu YoungMum entstanden?

Reim-Hofer: Ein Mädchen aus der Schule meiner Tochter hat sich das Leben genommen, als sie erfahren hat, dass sie schwanger ist. Solche Kurzschlussreaktionen passieren, weil schwanger und so jung zu sein immer noch stark tabuisiert und negativ beurteilt wird. Je mehr man aber das Thema anspricht, umso entängstigender wird es.

Standard: Wie beurteilen Sie die Situation von so jungen Müttern?

Reim-Hofer: Die Teenager-Schwangerschaften steigen. Ich glaube schon, dass die jungen Menschen theoretisch gut aufgeklärt sind. Es wird in all diesen Aufklärungsmodellen aber weitgehend vergessen, dass Sexualität auch etwas damit zu tun hat, dass man schüchtern, aufgeregt ist und sich geniert. Außerdem denke ich, dass die Burschen zu wenig miteinbezogen werden. Die sollten, ganz gendermäßig, geschlechtsspezifisch aufgeklärt werden, dann nehmen sie es ernster.

Standard: Gibt es auch gewollte Teenager-Schwangerschaften?

Reim-Hofer: Ungefähr zehn Prozent der Mädchen werden ganz bewusst schwanger, die sind zwischen 16 und 18 Jahren alt. Bei allen, die darunter liegen, muss man sich den psychischen Status anschauen. Manchmal ist es der Druck in der Schule. Das Mutter-Sein ist im gesellschaftlichen Status weit anerkannter als der Status der Schulabbrecherin. Das machen die Mädchen nicht bewusst.

Standard: Was denken Sie, welche Gründe dahinterstehen?

Reim-Hofer: Ich glaube, dass die jungen Menschen viel einsamer sind als noch vor 20 Jahren. In Wirklichkeit ist das der Verlust an Nähe zu Freunden, weil man nur mehr in Chatrooms lebt. Man kann zwar schreiben, "ich fühle mich heute so einsam" und dann schreibt jemand zurück, "ja, ich mich auch", und dann kann man sich gegenseitig bedauern, "jetzt fühlen wir uns schon zu zweit einsam", aber es kommt trotzdem niemand und nimmt einen in den Arm. Es gibt viele alleinerziehende Mütter, und die jungen Leute müssen von klein auf lernen, alleine zurechtzukommen.

Standard: Welcher Einfluss kommt vonseiten der Gesellschaft?

Reim-Hofer: In den Medien werden alle negativen Eigenschaften von Jugendlichen zitiert und Phänomene wie das "Koma-Saufen" angeprangert. Für mich ist das unglaublich erschütternd. Das sind junge Leute, die nichts anderes tun, als laut zu schreien: "Hört uns endlich zu!" Und das, was Gesellschaft macht, ist, sie noch zu schwächen. Alles, was nicht gesellschaftskonform ist, wird negativ heruntergeredet. Das Problem kann man nur lösen, wenn man die Menschen als solche ernst nimmt und Angebote schafft.

Standard: Welche Rolle spielt die soziale Schicht?

Reim-Hofer: In der Literatur wird behauptet: Je niedriger das Bildungsniveau ist, umso mehr Teenager-Schwangerschaften gibt es. Mag sein, dass das in Europa allgemein so ist - wir in unserer Einrichtung erleben es nicht so.

Standard: Welche Reaktionen haben Sie bei Eltern wahrgenommen?

Reim-Hofer: Ganz gemischte. Wir haben ein gutes Viertel an Teenagern, wo sich die Eltern gut kümmern. Dann gibt es Teenager, die leben schon alleine und agieren ganz anders. Und es gibt welche, bei denen es zwischen Eltern und Mädchen nicht so klappt. Diese sind einer großen Einsamkeit ausgeliefert und nützen unsere Mitarbeiter als Ansprechpartner stark.

Standard: Spielt die Religion, der Glaube eigentlich eine Rolle?

Reim-Hofer: Es kommen schon Teenager zu uns, die eine Abtreibung aus moralischen, ethischen oder religiösen Gründen ablehnen. Für viele stellt sich die Frage aber nicht, weil die Schutzfrist schon abgelaufen ist. An etwas glauben zu können ist für junge Menschen aber wichtiger, als oft angenommen wird. (inab, mlg, DER STANDARD, Printausgabe, 12.1.2011)